Die Kapitel


Vorwort der Autoren

»Ich liebe den Kummer«
Eine Alternative von Klaus Strube

Teil 1
17.10.1998/08:00
Teil 2
17.10.1998/21:15
Teil 3
18.10.1998/14:15
Teil 4
18.10.1998/23:45
Teil 5
19.10.1998/13:30
Teil 5 (alternativ)
19.10.1998/13:30
Teil 6
19.10.1998/24:00
Teil 7
20.10.1998/16:30
Teil 8
20.10.1998/23:00
Teil 9
21.10.1998/07:06
Teil 10
22.10.1998/00:30

Nachwort der Autoren

Frame ein/aus

 Inselflucht - Ein fiktiver Online-Roman in der realen Welt
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Teil 5 (alternativ) - Erinnerungen

von Joachim Richard Kenklies

Norbert B. wischte seine Tränen nicht ab. Das tat er übrigens nie, denn er war immer ein wenig stolz auf sie. Er ließ sie über die Wangen rinnen, und manche sammelten sich an seinen Lippen. Er schmeckte sie salzig und kniff nun den Mund fester zusammen. Wo mochte sie jetzt sein, was denken und fühlen? Er nahm die Kühle nicht wahr, spürte nur, wie seine Finger, ja sein ganzer Körper ganz leicht vibrierte. Ihm wurde schwindelig, und er setzte sich rasch in den feuchten Sand zwischen den Strandhafer. Er durfte hier oben nicht sein wegen des Dünenschutztes. das wusste er. Doch die Erinnerung… Und dann wurde ihm so leicht. Er fühlte sich in der Einsamkeit und trotz seines Liebesschmerzes plötzlich nicht mehr allein, fühlte sich geborgen, verbunden mit etwas Größerem, etwas Ewigem. Was war es? Das Meer, der Himmel, die Sterne, die Erinnerung? Und da war ihm, als würde der volle Mond wie damals am Himmel glänzen und das weite Meer silbrig glitzern lassen. Eigentlich wusste er, dass er erst morgen früh zur labithischen Stunde aufgehen müsse. Das hatte er in dem Anzeiger gelesen. Er dachte also an die gemeinsame Zeit mit ihr, glaubte sie zu spüren, ihre schöne dunkle Stimme zu hören, als sie damals hier oben auf der weißen Düne verliebt in die Nacht lauschten und eng beieinander hockten, um den Herzschlag des anderen zu spüren. Das war dann jedes Mal wie Weihnachten - oder so ähnlich jedenfalls. Genau hier war es gewesen: auf Melkhörn zwischen der Großen und Kleinen Schlopp in 21 Metern Höhe. Seine Tränen trockneten malerisch und kühl in der mondlosen Sternennacht.
Notebook     Dort drüben im Osten bei der alten Peilbake bewegte sich etwas. Norbert konnte eben noch erkennen, wie eine Reitergestalt mit weit wehendem Umhang über den trockengefallenen Sandstrand davongaloppierte. Vögel flatterten kreischend auf. Erst jetzt wehte ihm ein Geruch wie von Schimmel herüber. Oder war es Schwefel?
     Gedankenschwer und doch leicht kehrte Norbert B. in sein Quartier zurück. Und da geschah dann das Ungeheuerliche: Er setzte sich hin und schrieb und schrieb und schrieb. Zwischendurch aß er sämige Kartoffelsuppe aus einer Tasse mit Löwenköpfen. Die stammte offensichtlich aus einem Zoo. Bis zum Frühstück tippte er wie entfesselt in seinen Laptop hinein. Dieser schluckte die schier endlosen Kolonnen von Nullen und Einsen und sortierte sie vorschriftsmäßig und geduldig. Wie lange noch?!
     Auch jenes Gedicht war dabei:

Am Fenster

Stiller Gefährte,
nimmermüde
spiegelst du so sanft;
lässt auf meinen Wellen
tausend Sterne tanzen,
bleicher ferner Nachtgesell,
und kühlst doch nicht
mein Herz.
Schwarze Sonne
lässt auferstehn
die Schwere
und den Traum.

Schatten,
sie drängen herzu
so alt wie ich
doch auch so jung
Hab' keine Furcht
Öffne alle Fenster
zieh' den Riegel
von der Tür
und ahne schon
der Lilie Duft
erwarte dich
und warte
war-
te
schon so lang
Stumm liegt
und tot
das gelbe Laub
Trotzig
schweigt
das Telefon
Hunde wachen
und Sterne welken
wie die unverschenkten Rosen
Das Meer geht seinen alten Gang

Silbertau auf mattem Grün
Es lügt der Sonne ins Gesicht
Sie wird es verbrennen
Nebel auf bleiglatter See
Sie wird ihn verschlingen

Sehnsuchtsröte
vergeht
im frühen Blau

Anmerkung der Autoren: Wir danken für die Alternative! Weiter geht es wieder mit einem Teil 6.

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