Die Kapitel


Vorwort der Autoren

»Ich liebe den Kummer«
Eine Alternative von Klaus Strube

Teil 1
17.10.1998/08:00
Teil 2
17.10.1998/21:15
Teil 3
18.10.1998/14:15
Teil 4
18.10.1998/23:45
Teil 5
19.10.1998/13:30
Teil 5 (alternativ)
19.10.1998/13:30
Teil 6
19.10.1998/24:00
Teil 7
20.10.1998/16:30
Teil 8
20.10.1998/23:00
Teil 9
21.10.1998/07:06
Teil 10
22.10.1998/00:30

Nachwort der Autoren

Frame ein/aus

 Inselflucht - Ein fiktiver Online-Roman in der realen Welt
Muschel Verschicken Sie Elektropostkarten Edition »Inselflucht«
Muschel Lesen Sie die Kommentare der Leser

»Ich liebe den Kummer«
Eine Alternative zu Beginn

von Klaus Strube

Da hat mich doch diese Langeoog-Idee wieder vor den Bildschirm getrieben, einige Verwandtschaften scheinen da ihre Energien zu aktivieren, sollen sie doch! Liebeskummer? Ein sieben Tage füllendes Vorabend-Thema. Ich liebe den Kummer. Er macht den Nichtkummer so deutlich.
     Eine Reise mit den ICE, aus dem Süden Deutschlands fliehend bis vor die Nordseeküste, da sollte mehr draus zu machen sein als nur einen
Fahrplan. Es ist nun mal, ob nun SPD oder CDU, das eiserne Prinzip des Ortszaubers: Das Verzaubern muß man schon selbst machen!
     Ich gäbe die Fahrkarten, so schön und flugreisengerecht sie auch gedruckt sein mögen, wieder zurückgeben, die Bahnmenschen sind da nachsichtig. Und stattdessen führe ich mit Regionalbahnen langsam kreuz und quer durch unser Land. Sonst kann es einem wie dem Indianer ergehen, der, von einem freundlichen Autofahrer mitgenommen, Stunden später noch am Straßenrand sitzt, auf seine Seele wartend.
     Und Langeoog, da sitzt man dann auf der Insel, aufgekratzt im staubgewischten Spartanischen und sieht das Wasser nicht. Gott sei Dank ist im Oktober Totentanz auf der Insel, da hat die Phantasie wieder eine Chance zwischen all den Andenken und maritimen Currywürsten.
     Aber mit den Regionalbahnen, das kostet zum einen am Wochenende nur 35,- DM, auch von München nach Hamburg, wenn man es denn von Freitagabend bis Sonntagnacht schafft, aber was viel wichtiger ist, es schafft literarisches Erleben oder den Rahmen dafür. Das einig Literarische im ICE ist das Bordrestaurant.
     Ein kleiner Schlenker durch das Ruhrgebiet ist vielleicht interessanter oder gar durch die neuen Bundesländer: Dortmund, Berlin, Bremen, Langeoog - der Weg ist das Ziel.

Dortmund, 1:30 Uhr des Nachts, unzählige Lichter, vor dem Bahnhof der Scheinwerferkegel einer zurückkehrenden Taxe gleitet tastend an der Ziegelsteinmauer entlang, greift wie ein Finger in die Nacht, versinkt wieder.

Spiralnebel in Berlin, das Herz flackert vom 7. Kaffee, der leere Plastikbecher knackt in das Raunen der hektisch umherhuschenden Junkies, pulsierende Stadt zersplittert im glitzernden Fenster.
     Es geschieht nichts, das Gehirn ist wie verklebt.
     Ein Versuch zu schreiben. Ein Geräusch ohne Buchstaben und Sätze.
     Das Wichtigste in solchen Situationen der Schreiblosigkeit sind Breaks, Unterbrecher, brechen, sich übergeben an einen anderen Sender, der Bahnhof ist ein Baseballfeld, keiner kennt die Regeln, alle spielen mit.
     Zuerst einmal fallen Gitter vor die Fenster, Eposgitter mit Satzstangen. Hier kommt keiner mehr heraus, ihr seit jetzt alle verhaftet und verurteilt.

     Hey, du, kannst du mir mal helfen?
     Waslos!?
     Ich brauche drei Vornamen!
     Wistemichveraschn?
     Nein, ich brauche drei Vornamen für eine Ausrede.
     Na - Samson, Gitti und Ron, ist das gut?
     Das ist ganz toll, danke, du hast mir sehr geholfen, vielen Dank!
     Ich weiß nochn pa, Attek, und Zwiebel, hähä, das ist ja kein richtiger, ne?
     Wer ist das, Zwiebel? Stinkt der so?
     Ich saches dir, der putzt sich nie seine Zähne, und der friß jedn Scheiß auße Container.
     Und woher kennst du den, ist das ein Freund?
     Ha! Freund, ich glaub mein Schwein feift. Den tretich inne Eier, wenner mir zu nah kommt. Ne, dassn Pole glaubich, oder von Rostock oder so, ich kann dir flüstern.
     Manteufel-Zargengrün notiert sich einige Gedanken, ihn interessiert das Abnormale ja nicht wirklich, aber irgendwie ist es wahr, echt, in all seiner Traurigkeit und Leere.
     Kottek wirft seine Zigarette fort und wendet sich an den Namensgeber.
     »Haben sie eine bestimmte Methode, um zu überprüfen, ob das, was sie tun, ihren Vorstellungen von Selbstverwirklichung nahe kommt?«
     »Wasn das für einen, wo hastn den her?«
     »Das ist Herr Kottek, ehemaliger Boxweltmeister - «
     »- ah so, Bregenpanne, was? Tschuldigung!«
     Der Regionalexpreß »Hasenherz« fährt ein, zwei Schüler steigen aus, verklärte Graphitgesichter.
     Manteufel-Zargengrün fragt sie, ob sie um diese Zeit schon zur Schule müßten. Sie bejahen die Frage, sie machten heute jene unverwechselbare Klassenfahrt nach Helgoland, da müßten sie schon früh los.
     Das erste, was die beiden Reisenden nach Abfahrt des Hasenherzens sehen, ist ein Chaos von Licht. Manteufel-Zargengrün entwickelt eine gespannte Wachsamkeit und schreibt und schreibt. Kottek schüttelt nur den Kopf, er hat Liebeskummer, und dabei bleibt es.
     Ein Busy-Busy-Mensch fliegt herein und setzt sich mit all seiner Strahlung gegenüber, schaut durch das Fenster, als wolle er das Glas mit den Augen zersägen.
     Berlin liegt endlich weit zurück, am Horizont sind schon Helgoland und Langeoog zu erkennen, weiter hinten die Skyline von New York, jene nördlichste der friesischen Inseln, oder so ähnlich, wird jedenfalls auch schon mal das Bali Frieslands genannt.
     Ach ja, Bali, Ballimtor mit Kahn, soll im Museum aufgestellt werden, in jenem Musentempel für neuere Deutsche und Preußische Geschichte, na ja, nicht gleich am Eingang, aber weiter hinten, so im Halbdunkel.
     Erleichterung, endlich angekommen, Kottek meint, seine Seele sei schon stundenlang am Strand gewesen, alles nur Geschwätz, dieser ganze Käse mit den Indianern.
     Ein Kontrollposten der Inselbahn ist beim Fangen eines späten Maikäfers in das Wasser gefallen, ein dienstlicher Wasserfall, auch ziemlich neu in der Unfallstatistik.
     Rettungsmannschaften retten gegeneinander, unentschieden, der Posten hängt nun am Pfosten, wer trägt die Kosten? Sie wringen das Wasser aus den Kleidern in Sektgläser und stoßen feierlich an. Der Leiter der Feuerwehr beruhigt den Beamten, er hatte ohnedies in der Gegend zu tun.
     Wie schwer ist ein fast lebloser Kontrollposten? will Manteufel-Zargengrün wissen. Den könne man nur im Stück kaufen, A7! Ein Niedersachse merkt auf, da gäbe es häufig Staus.
     Eine gutgenährte Siebenundzwanzigunddreizigjährige Dame nähert sich gut und gerne Manteufel-Zargengrün, sie möchte gern aus seinem Glas trinken. Ob sie noch weitere Wüsche hätte, vielleicht könne man das bündeln, zum Sündeln, wenn die Herzen zündeln!
     Die Dame juchzt vor Vergnügen.

Klaus Strube

zurückhomeweiter

© 1998 by Klaus Strube.
Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.