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Beim Weinverkosten
von Franz Höttinger

Der Winzer lädt in den Weinkeller ein,
um zu verkosten den heurigen Wein.
Die Stiege hinunter ist steil und sehr eng,
schön langsam, ihr Leut', nur kein Gedräng'.
Die Stufen sind rutschig.
Damit keiner fällt,
ist der Keller sogar elektrisch erhellt.
Im Gewölbe ist 's kühl
und geheimnisvoll still.
Tief unter der Erd' eine andere Welt -
hier herrscht der Wein - und er allein zählt.
Eine eigene Stimmung erfasst den Gast,
vergessen sind Zwietracht, Hektik und Hast.
Auf schmalen Bänken, am langen Tisch,
sitzt man in Jacken, denn es ist frisch.
Man rückt zusammen und fühlt sich verbunden,
jede Fremdheit ist bald verschwunden.

Der Hausherr - wie könnt's anders sein -
präsentiert voll Stolz sein heurigen Wein.
Man gibt sich als Kenner,
lässt jeden Tropfen auf der Zunge zergehn,
gibt Urteile ab, als würd man 's verstehn.
Voll Andacht schlürft man Schluck um Schluck
und leert, was zuviel ist, in den Krug.

Man lobt den Meister.
Denn fürwahr:
Ein Meisterwerk auch dieses Jahr!
Man kann das Wunder gar nicht glauben,
dass aus dem süßen Saft der Trauben
der Winzer keltert solchen Wein!
Er könnte gar nicht besser sein.
Das Weinderl hält, was es verspricht:
Jedes Tröpferl ein Gedicht!

Man applaudiert und gratuliert.
Dann wird kräftig schnabuliert.
Denn um 's Verkosten zu vertragen,
muss auch gefüttert werd'n der Magen,
weil der Wein
möcht gerne seine Wirkung zeigen
und manchem in den Kopf gleich steigen.
Bei andren saust er in die Füß'.
Doch eine Jause, die verhindert dies.

So wird gedeckt der lange Tisch
mit Speck und Brot, ganz ofenfrisch.
Auch mancher Gast hat was gebracht.
Es wird getratscht und viel gelacht.
Man kostet dies, man kostet das,
prüft den Glanz vom Wein im Glas
und prostet sich zufrieden zu.

Jetzt sind die Menschen richtig selig
bei Brot und einem Glaserl Wein.
Du lieber Gott, es braucht so wenig,
um unter Freunden
glücklich und froh zu sein!

© by Franz Höttinger. Für die Rechtschreibung sind die Autoren verantwortlich.

 
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