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Gemüse
von Christiane Fischer

Meine Mutter ist eine bemerkenswerte Frau. Es gelang ihr, sowohl Verstand als auch Ausgeglichenheit zu bewahren mit drei Töchtern. Sie war verständnisvoll und unterstützte uns. In einem Bereich allerdings hat sie ihre Rachegelüste ausgelebt: beim Gemüse. Wenn sie Milchreis zum Mittagessen servierte oder Fischstäbchen, gab es keine Klagen. Kamen aber Kohlrabi oder Porree auf den Tisch, gab es Machtkämpfe, die sich bis in den Nachmittag hinein zogen. Einmal riss ich sogar zu Hause aus, um dem verhassten Gemüse zu entgehen. Meine Großmutter, die mir Asyl gewährte, brachte mich abends wieder nach Hause. Meine Mutter hatte für mich Gemüse aufgehoben.
Am Schlimmsten war Porree. Stunden habe ich vor dem vollen Teller verbrach. Meist hatte meine Mutter ein Einsehen und ich durfte den Tisch verlassen. Gegessen habe ich das verhasste Zeug nicht.
Als Studentin konnte ich dann endlich in genussvoller Freiheit selber über meine Nahrung bestimmen. Häufig verabredeten wir uns zu mehreren und kochten gemeinsam. Das dürftige Haushaltsgeld bestimmte den Speiseplan und der Spaß war groß. Einmal kochten wir bei einem Paar, das stolz auf seine fortschrittliche ökologische Gesinnung war. Wir kochten Reis in der Kochkiste und kamen uns erhaben vor. Vage schoss mir meine Großmutter durch den Kopf, die ihren Topf mit gekochtem Reis unter Federbetten ausquellen ließ. Sollte meine Oma fortschrittlicher gewesen sein als ich? Das Essen war lecker. Es gab ein Gemüse, das fortan öfter auf meinem Speiseplan stand. Ich war begeistert. Wieso war mir dieses Gemüse nie von meiner Mutter serviert worden? Mit ein wenig Mühe hätte sie mir doch diese kleine Freude machen können. Sicher war die Gemüsefolter Teil eines ausgeklügelten Racheplanes für meinen pubertären Ungehorsam.
Ich ließ mich dazu herab, meine Mutter über dieses köstliche und ihr offensichtlich unbekannte Gemüse zu informieren. Sie sollte schließlich auch in den Genuss kommen dürfen. Sie brach in schallendes Gelächter aus, was mich nicht wenig irritierte. Unter Prusten erklärte sie mir, dass mein Lieblingsgemüse, Lauch, identisch mit dem schrecklichsten Gemüse meines Lebens, Porree war!
Seit einigen Jahren bekoche ich selber Kinder und bekomme zu hören, bei Oma schmecke es viel besser, ich verübte Gemüsefolter, man wolle ausziehen- zu Oma.
Ich kann mich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass meine Mutter stets ein kleines, aber ironisches Lächeln im Gesicht trägt, wenn sie meine Kinder und mich beim Essen beobachtet.

© by Christiane Fischer. Für die Rechtschreibung sind die Autoren verantwortlich.

 
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