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Die Küche meiner Kindheit
von Anette Degott

Es roch nach angebratenen Zwiebeln, braun glasierten Ringen, deren buttriger Duft wie Tau die Möbel benetzte. Bald würden sich auf dem Tisch der braune Brotkorb sowie Teller, Gläser, Gabeln ansammeln und geduldig auf Zwiebelringe warten. Mutter würde sie auftragen und an die ungeduldigen Esser verteilen. Es sollte die Vorspeise sein, etwas ungewöhnlich vielleicht aus heutiger Sicht; ihnen würden Bratkartoffeln folgen, dazu säuerliche Buttermilch. Diese würde die weichen, gelben Kartoffelscheiben im Mund aufweichen und braune Kartoffelkrüstchen konnten genüsslich geknackt werden. Ich wartete sehnsüchtig darauf.

Das grüne Sofa dehnte sich gelangweilt in der Ecke und betrachtete gelassen das tägliche Treiben bei Tisch, hörte gleichmütig das knisternde Geräusch leicht anbratender Kartoffeln in Butter. Nur das blaue Kissen mit dem von Hand aufgestickten, gelben Tiger, dessen Zähne gierig bleckten, schien seltsam auffordernd in meine Richtung zu blicken. Können Wolltiger auch Hunger haben? Später würde der Tiger dann unter meinem Kopf verschwinden, wenn es hieß Mittagsschlaf zu halten.

Und Zwiebelringe würden schließlich gewaltig in der Bauchhöhle glucksen, wenn der Blick vom Sofa aufschauend am schweren Küchenschrank hoch wanderte, den besonnenen Beherrscher unserer Küche. Aber er enthielt auch jene hölzernen Schubladen, die man schnell herausziehen und in denen vorwitzige Finger den Zucker fanden. Und oben lagen in einem Glasschälchen die seit langem gesammelten Pfennige, die Eis am Stil und weiche Kaubonbons versprachen, die damals bei uns Lollis hießen.


Endlich begann das Essen. Alle hatten sich nieder gelassen, und täglich neu begannen die vertrauten Kämpfchen zwischen uns Geschwistern, wer zuerst bedient, den Teller leer essen würde. Dabei wurde erzählt, von den Abenteuern des Alltags berichtet und herzhaft zugegriffen. Die Schüsseln leerten sich, doch erst gemächlich. Denn die Familie saß gerne lang bei Tisch, aß und sprach miteinander, während die Küchenuhr laut tickend ihren Takt dazu gab. Sie gemahnte unerbittlich an verstreichende Zeit, sodass mitten in entspanntes Verdauen und der Überlegung, ob man vielleicht doch noch einmal ..., die Mutter mit einem entsetzen Blick auf die Uhr ausrief: "Oh Gott, so spät ist es schon!?" und dann statt einer Antwort alle aufsprangen und davonliefen. Zurück blieb die Küche meiner Kindheit und Kochdunst aus Bratkartoffeln mit Zwiebeln.

© by Anette Degott. Für die Rechtschreibung sind die Autoren verantwortlich.

 
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