Ein überzeugendes Mahl
von Ina Degenaar

Ein verregneter Tag in Niedersachsen. Die Tür des sündhaft teuren Nobelrestaurants geht auf und zwei Gäste kommen mit schnellen Schritten herein. Mit einer leichten Verbeugung nimmt ihnen der Kellner die Mäntel ab und begleitet sie zu einem Tisch. Er rückt zunächst den Stuhl der Dame zurecht, dann den des Herrn.
Der Herr redet im Staccato auf die Dame ein, erzählt ihr von wichtigen Meetings, wichtigen Leuten, wichtigen Geschäften und davon, wie wichtig er selbst ist. Die Dame schweigt unsicher. Sie sind die ersten Gäste; sogar der Koch hat noch Zeit, sie zu begrüßen.
Die Blicke des Kochs und der Dame begegnen sich, ihre Augen leuchten, dann senkt die Dame errötend den Blick. Hat der Herr neben ihr etwas bemerkt? Nein, er spricht in sein Handy und wendet sich dann zur Dame: „Ich muss noch mal weg. Fang doch schon mal an! „Aber...", sagt die Dame, doch der Herr hört sie schon nicht mehr und winkt bereits vor der Tür ein Taxi heran.
Das ist die Stunde des Kochs, der beim Blick in die Augen der Dame dahingeschmolzen ist. „Darf ich Ihnen mein Spezialmenu zubereiten?", fragt er. Die Dame lächelt und nickt.
Schon bald wird der erste Gang serviert: Feldsalat mit Entenschinken auf Kürbisvinaigrette und Briochecroutons. Die Dame schließt die Augen und lehnt sich zurück, während sie den ersten Bissen genießt. Der Koch lächelt.
Der zweite Gang: Schwarzfederhuhn, gefüllt mit Steinpilzen und Wildschweinschinken auf Rucola-Risotto. Die Dame seufzt zufrieden, noch nie hat sie etwas so Köstliches gegessen. Der Koch beobachtet sie und nickt.
Und jetzt das Finale: Nougatmousse & Trüffeleis mit Karamelmandarinen. Die Dame fährt sich mit der Zunge über die Lippen, der Koch steht strahlend im Türrahmen. Es sind immer noch keine weiteren Gäste gekommen. Der Koch wird gleich die Dame zum Käse einladen, die Dame wird in die strahlenden Augen des Kochs sehen und vergessen, dass sie mit dem Herrn gekommen ist."

© by Ina Degenaar. Für die Rechtschreibung sind die Autoren verantwortlich.