CMA - Bestes vom Bauern Das Literatur-Caf� - Der literarische Treffpunkt im Internet
 
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Fiorentini
von Johanna Spreitler

In München gibt es eine neue Kaffeebar, eine, die ich noch nicht kannte, in der alten Bürklein-Post unter den Arkaden an der Maximilianstraße. Ich muss morgens warten, bis die Post aufmacht, da trete ich ein. Ein ganz hoher Raum , der wohl früher einmal zur Schalterhalle gehörte, empfängt den Gast, hohe, schmale Fenster öffnen sich auf die Kreuzung Perusa-Residenzstraße. Regale bis unter die Decke, gefüllt mit italienischem Kaffee, italienischem Backwerk, italienischen Spirituosen. Leitern davor und auf dem blitzenden Tresen ein riesiges bauchiges Glas mit einem strahlend weißen Leintuch sauber abgedeckt, darin kleine, runde, fast kugelige Fiorentini. Der junge Barkeeper – Buon giorno, madame, madame? – holt mit einer glänzenden Gebäckzange den Florentiner aus dem Glas, platziert ihn mit schwungvoller Geste auf ein Tellerchen und stellt es neben meine Latte Machiato – ecco. Nur ganz kleine Bissen gönne ich mir, die herbe Schokolade schmilzt und zerfließt auf der Zunge, die Nussstiftchen und Mandelblättchen knurpsen und knuspern zwischen meinen Zähnen und dann – ganz innen – die himmlische Seele – das Marzipan, samtig weich und süß, so süß. Ich schließe die Augen und nehme das Marzipan, die Nüsse, die Schokolade in mir auf. Langsam. Dem letzten Bissen gönne ich extra Zeit, dann schlucke ich – bedauernd und mache die Augen wieder auf und – erschrecke. Der Barkeeper lehnt mit verschränkten Armen mir gegenüber neben der Kaffeemaschine und grinst. Ich fühle, wie mir das Blut ins Gesicht schießt. Ich nehme mein Glas und trinke schnell einen Schluck. War gutt, madame, eh? Ich nicke und lache ihm über das Glas hinweg zu.

© by Johanna Spreitler. Für die Rechtschreibung sind die Autoren verantwortlich.

 
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