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Gourmetküche, ich komme
von Pascal

Als ich mein Elternhaus verließ, war ich auf mein eigenständiges Leben bestens vorbereitet: Ich kannte Werthers Leiden, die eingebildeten Krankheiten des "malade imaginaire", die Ereignisse auf der "animal farm", konnte die Extrempunkte von Kurven berechnen und das Auto steuern, das meine Habseligkeiten und mich in das möblierte Appartement brachte. Angesichts dieser Kenntnisse und Fähigkeiten schien es unwesentlich, daß sich meine Erfahrung in der Küche auf Geschirr spülen beschränkte. Kochen war sicherlich ein Kinderspiel und eines war sonnenklar: Braten, Kartoffeln, Spinat, Bohnen insbesondere Kohl jeder Art würden meine Geschmacksknospen nie wieder belästigen. Statt dessen schwebten mir Pasta-Gerichte, Fondue und Baguette vor. Meine Saucen würden durch exotische Gewürze und einen Schuß Wein eine ungemein raffinierte Note erhalten. In den folgenden Wochen wurde mein Optimismus auf eine harte Probe gestellt: Matschige Nudeln, schreckliche Soßen verdarben mir den Appetit. Schwer hing der üble Geruch meiner Kochversuche im Appartement. Statt Wein und Baguette kaufte ich Lufterfrischer. Es mußte dringend etwas geschehen. Tatsächlich geschah auch etwas Aufregendes: Beim nächsten Supermarktbesuch entdeckte ich ein Regal mit Fertigprodukten. Von Stunde an entließ ich mein Gewürzregal in den Vorruhestand und beschränkte mich darauf, Grundzutaten mit Fertigsaucen zu übergießen. Endlich setzte er ein, der ersehnte Genuß. In meinem Appartement duftete es nach internationaler Küche. Und Kochen war das, was ich geahnt hatte, nämlich ein Kinderspiel. Nach einem ausgiebigen Streifzug durch die bunte Tütenwelt legte ich mich auf meine Favoriten fest. Die anfängliche Freude wich nach und nach dem beklemmenden Gefühl meiner Abhängigkeit von den kleinen Helfern: Ich hatte an Preiserhöhungen zu knabbern. Wurde "meine" Saucenmischung gar vom Markt genommen, verschwanden Lieblingsgerichte unwiderruflich aus meiner Küche. Es war ausgerechnet ein Wirsingkohl, der mir zum Ausstieg aus dem Leben als Tütenjunkie verhalf: An einem Wintermorgen lachte er mich knackig frisch an. Neben ihm wirkten die Paprika welker und die Tomaten blasser als sie ohnehin schon waren. Und er war für einen Spottpreis zu haben. Raffinierte Geschmacksverstärker schienen unnötig zu sein. Der Wirsing-Eintopf war das erste Gericht, das ich alleine hin bekam. Ich war so stolz, daß ich den Kohlgeruch im Appartement wie eine Siegestrophäe hütete.

© by Pascal. Für die Rechtschreibung sind die Autoren verantwortlich.

 
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