Das Grauen lässt sich hören
Zwei gruseliger Hörbuchtipps aus dem Hause LPL records von Volker Wilde
 
Grauen erregend, rasant, fesselnd.

Caver: NECROSCOPEBrian Lumleys 1986 geschriebener Roman »Necroscope - Das Erwachen« gehört zu dem Finstersten und Grausamsten, das ich je gelesen und gehört habe. Gleichzeitig muss ich zugeben, dass Lumley literarisch vorgeht. Nicht etwa, und ich habe nach Belegen gesucht, trivial. Auch weiß Lumley um narrative Grundtechniken: Seine Konstruktion in zwei nicht-chronologischen Erzählsträngen, die sich einander annähern, ist klassisch und perfekt. Lumleys Story wirkt somit bei aller Grausamkeit rasant, vielfältig und fesselnd:
     
Harry Keogh ist stiller Außenseiter seiner Klasse. Denn er hört die Stimmen Verstorbener in seinem Kopf. Das ist für ihn derart Grauen erregend und verstörend, dass er sich niemandem anvertraut. Er gilt als dümmlicher Tagträumer, der es zu nichts im Leben bringen wird. Erst als der blasse Harry ein anspruchsvolles mathematisches Problem löst, wird der Lehrer einer kleinen Dorfschule auf ihn aufmerksam. Was der allerdings nicht wissen kann: Harry kommuniziert mit Toten auf einem nahe gelegenen Friedhof, unter denen sich ein berühmter Mathematiker befindet. Harry Keogh wird eines Tages eine amerikanische Geheimdienstabteilung für paranormale Phänomene leiten. Schnitt.
     
Im fernen Rumänien ist ein Mann namens Dragosani in seine Heimat zurückgekehrt. Dragosani arbeitet für eine russische Geheimdienstabteilung für paranormale Phänomene. Denn er beherrscht die Kunst der Nekromantie; soll heißen, dass der Geruch, haptische Reize, ja das Verzehren von Körperteilen Toter dem Nekromanten Zutritt zu deren letzten Wahrnehmungen, Wissen und Gedankengängen gibt. Dragosanis Reise hat einen Grund, der zurück in seine Kindheit reicht: Tief im Wald liegt ein Toter begraben, der vorgibt, sein Vater zu sein und gleichzeitig für sich beansprucht, ein 1000-jähriger Vampyri zu sein. Der Vampyri eröffnet Dragosani, er werde in Kürze die russische Geheimabteilung für paranormale Phänomene leiten.
     
Und hier etwa endet »Das Erwachen«, das aus vielen Schnitten und Flashbacks ein reichhaltiges wie intensives Schreckenspanorama aufbaut. Wir ahnen, Harry Keogh und Dragosani werden Gegenspieler sein. Doch so weit kommt es in diesem ersten Teil nicht. »Das Erwachen« ist die Wegbereitung zum 2. von insgesamt neun Teilen.
     Brian Lumley ist ein Artverwandter von Edgar Allan Poe, E.T.A. Hoffmann, H.P. Lovecraft, Algernon Blackwood und Stephen King. Interessanterweise lassen sich Grundmotive seines Necroscope in seiner Biografie orten: Brian Lumley wurde am 2. Dezember 1937 als Sohn eines Minenarbeiters in Horden, einem Kohlebergwerkdorf im County Durham, England, geboren. 1946 bekam er die schlechtesten Noten in seiner Englischklasse und, als er seinem Lehrer erzählte er wolle Schriftsteller werden, wurde ihm nahe gelegt doch besser seinem Vater zu folgen und Minenarbeiter zu werden. Als sein Vater Jahre später starb, wünschte Lumley sich, er könne noch mit ihm kommunizieren und entwickelte so die Figur des Totenhorchers Harry Keogh.
     Vorleser dieses außergewöhnlichen fast 8-stündigen-Gruselromans ist Synchronsprecher-Star Joachim Kerzel, der Dustin Hoffman und Jack Nicholson seine Stimme leiht. Eine perfekte Besetzung. Kein Wunder, da LPL records unter Mitwirkung einer ganzen Crew von Sprecherstars agiert: Die einleitenden Sätze spricht die Demie Moore-Synchronsprecherin und auf dem Regie-Stuhl saß unter anderem Oliver Rohrbeck, der als Justus der ??? berühmt wurde. Fazit: Alle neun Teile der Necroscope-Serie sollen als Hörbücher bei LPL records erscheinen. Der Start ist eindrucksvoll gelungen. Warten wir auf Teil 2.

»Es schien ein Symbol zu sein, das ein Monster darstellte«

Die Qualität mancher Literatur erkennt man bereits an dem Verlag, in dem sie erscheint. H.P. Lovecrafts Erzählungen erscheinen im renommierten Suhrkamp Verlag, neben Legenden wie Brecht, Hesse, Frisch und Lem. Und Lovecraft (1890 - 1937) ist selbst eine Legende. Rund achtzig Jahre nach Edgar Allan Poe war er das große schriftstellerische Talent, das sich dem fantastischen Cover: Der Cthulhu-MythosHorror hingab. In seinen Geschichten, die oftmals vom Kolonialismus geprägt und somit von Mythen aus Übersee inspiriert sind, treffen sich Sprachwissenschaftler und Altertumsforscher, die sich gemeinsam im Herrensalon über eine ungewöhnliche Statue beugen, um ihren Sinn zu enträtseln. Der Held dann geht dem schrecklichen Geheimnis vor Ort auf den Grund. Der Horror verdichtet sich durch diese langsame Annäherung an das Grauen bis zum Bersten.
     Eine Auswahl der stärksten Storys von Lovecraft und Epigonen bietet der neu gegründete exquisite Hörverlag LPL records. Auf den 4 CDs betitelt »Der Cthulhu Mythos« finden sich »Der Ruf des Cthulhu« (Lovecraft, 1928), »Der schwarze Stein« (Howard, 1931), »Die Glocke im Turm« (Lovecraft/Carter, 1989), »Abdul Al Hazred« (Smith, 1950), »Dagon« (Lovecraft, 1917), »Ein Portrait Torquemadas« (Von Aster, 2002). Doch wir werden mit den Erzählungen nicht allein gelassen.
     Liebevoll hat Frank Festa losgelegt und einem fiktiven H.P. Lovecraft fachkundige Kommentare zu den Storys in den Mund gelegt. Doch hier ist noch nicht Schluss mit der Qualität: Im Studio trafen sich zur Produktion der Storys einige Sprecherlegenden. So liest Joachim Kerzel (Synchronsprecher Jack Nicholsons) die Storys, Franziska Pigulla (Synchronsprecherin Demie Moores) spricht die Einleitung und David Nathan schlüpft in die Rolle des H.P. Lovecraft für die Zwischentexte. Hinter dem Pult führte niemand anders als Oliver Rohrbeck (einer der Drei Fragezeichen und selbst längst Top-Synchronsprecher) Regie. Fazit: Herausragende Horrorstorys packend gelesen und liebevoll-gruselig verpackt.


Der Cthulhu Mythos: Horrorgeschichten. Audio CD. 2010. Bastei Lübbe (Lübbe Audio). ISBN/EAN: 9783785713839

 

Tipp: Lesen Sie im Literatur-Café auch das Interview mit LPL-Verleger Lars Peter Lueg (u.a. über den im Herbst 2004 erschienenen zweiten Teil der Necroscope-Saga) und dem Meister des Phantastischen HR Giger.

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