Lange nichts gehört?
Drei Hörbuchtipps von Volker Wilde
 
Furios: Christian Brückner liest Kafka

Franz Kafka: Der ProzeßViele haben Franz Kafkas Texte vorgelesen: Schauspielstar Ulrich Wildgruber (zu grobschlächtig geknödelt), Axel Grube (gut, tendenziell zu depressiv), Gerd Udo Feller (klasse, teils zerbrechlich), Martin Seifert (unerträglich kindermäßig), Rufus Beck (gar nicht übel). Und endlich tritt der Meister auf mit Kafkas Meisterstück: Christian Brückner (siehe Interview) liest auf 7 CDs in 517 Minuten Franz Kafkas »Der Prozeß«. Wer dies gehört hat, weiß: Besser geht es nicht, das ist die Decke des Möglichen. Denn in Brückners Stimme ist alles gleichzeitig hörbar, was zur selben Zeit doch unvereinbar scheint: Stärke und Schwäche, Einsamkeit und Eingebundensein, Depression und Seligkeit. All das legt Brückner in Kafkas sensible Worte, eingegossen in seine verblüffend simple, starke Syntax.
     Franz Kafka (1883 bis 1924) begann 1914 mit der Niederschrift seines Romans »Der Prozeß«. In diesem Jahr löst Kafka seine Verlobung mit Felice Bauer auf; auch bricht der Erste Weltkrieg los. Die einerseits private und andererseits äußere Krise mögen ihn inspiriert haben, einen Roman über die Existenzberechtigung der Person »Josef K.« in der Gesellschaft zu schreiben. Und wer einmal die Originalblätter gesehen hat, der ahnt an dem zwar disziplinierten, dennoch chaotischen Gekrakel mit den vielen Streichungen, wie es um Kafka gestanden haben mochte. Was haben wir hier auf 7 CDs? Nichts weniger als einen der packendsten Romane des 20. Jahrhunderts, vorgelesen von der faszinierendsten Stimme deutscher Sprache.
     Und was sagte mir Christian Brückner neulich im Interview? »Die wirklich harten Sachen, das sind nicht die Synchronisationen im Studio. Die wirklich harten Sachen, das sind die Romane im Studio. Du liest fünf, sechs Stunden am Stück. Und wenn du da dann nicht drin bist, ist es die Hölle.« Brückner und Kafka, das Gespann hinerlässt einen gegenteiligen Eindruck.


Der Prozeß: Ungekürzte Ausgabe, Lesung. Audio CD. 2002. Parlando. ISBN/EAN: 9783935125154. 24,99 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Rare Sherlock Holmes Geschichten

Arthur C. Doyle: Sherlock Holmes-GeschichtenDer »Verlag und Studio für Hörbuchproduktionen« ist ein kleiner, exquisiter Club: Hier ist in voller Länge H. G. Wells »Die Zeitmaschine« erschienen, Ray Bradburys »Die Mars-Chroniken« und Stanislaw Lems »Robotermärchen«. Ebenso fruchtige Meisterwerke der Franzosen Maupassant, Zola, Daudet und Balzac. Und insgesamt 29 exzellent, in voller Länge gelesene Krimis gibt es auch: Von Agatha Christie, Patricia Highsmith, Ray Chandler, Celia Fremlin und Ross McDonald bis hin zu Wilkie Collins. Und jetzt hat sich Verlagschef Hans Eckardt einem weiteren Meister des Krimigenres gewidmet: Arthur Conan Doyle (1859 - 1930). Das 4 CD-Paket »Sherlock Holmes Geschichten« hält den Anspruch des Verlags an höchste Qualität: Da ist eine bekannte Story von Doyle vertreten (»Ein Skandal in Böhmen«) und - der Verlag erweitert unseren Horizont - die exquisiten und kaum bekannten Spätgeschichten »Der letzte Fall«, »Das leere Haus« und »Der zweite Fleck«. Und der Vorleser? Peter Weis, bekannter Rundfunksprecher, Synchronsprecher und Schauspieler, liest die aus der Sicht des biederen, unsicher-bemühten Dr. Watson geschriebenen Storys. Und Weis ist ein Glücksgriff: Seine Stimme entspricht aufs i-Tüpfelchen dem Charakter im Text. Auch gibt er seiner Stimme eine latent steife Aura, die dem vorgelesenen Text die reizvolle Patina des späten 19. Jahrhunderts verleiht.
     Leider hat noch keiner der Hörverlage Doyles brillianten Roman »The Lost World« entdeckt und lesen lassen. Richtig, Michael Crichton hatte den Buchtitel in den 1990ern im Hinblick auf Steven Spielbergs »Jurassic Park 2« adaptiert. Doch an den anspruchsvollen Sci-Fi-Roman Conan Doyles kommt der latent triviale Crichton nicht ran. Da gibt es also noch Handlungsbedarf - etwa für denselben Verlag, in dem auch die anderen anspruchsvollen Sci-Fi-Klassiker erschienen sind?


Der Prozeß: Ungekürzte Ausgabe, Lesung. Audio CD. 2002. Parlando. ISBN/EAN: 9783935125154. 24,99 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

 

Poetry & Jazz: Neuer Papa der Beat Generation entdeckt

Joseph Moncure March: Das wilde FestZweieinhalb Jahre meines Lebens habe ich der Beat und Slam Poetry gewidmet. In den USA und in Europa schnitt ich endlose Events mit, ebenso Interviews und Diskussionen, kam so zum Radio, organisierte schließlich selbst im Rahmen der Popkomm ein internationales Poetry-Happening. Doch erst jetzt, sieben Jahre danach, lerne ich, dass die Vorgänger von Pamela Sneed, von Paul Beatty, von Hal Sirowitz, von Jack Kerouac, von Allen Ginsberg und Co. nicht nur Ezra Pound oder W. H. Auden oder Langston Hughes oder E. E. Cummings, Stephen Crane, Wallace Stevens waren. Nein, ich lerne, dass ein Schriftstück namens »The Wild Party« von 1926 einen guten Mann ins Spotlight setzt.
     Sein Name ist Joseph Moncure March. 1899 geboren, studierte er beim Lyriker Robert Frost, schrieb als Journalist für die New York Times und als 27-Jähriger die ungezähmten, anstößigen wie zahlreichen Zeilen der »The Wild Party«. Wenige Jahre später ging March als Bestseller-Autor nach Hollywood. Dort lieferte er Drehbücher für John-Wayne-, Jean-Harlow- und Gary-Cooper-Filme. 1977 starb er in Los Angeles, von der Zeit überrollt. »The Wild Party« blieb zurück. »Das Buch hat mir doch überhaupt erst Lust aufs Schreiben gemacht«, so der Kommentar von William Burroughs zu dem Stundenstück. Die Lesung von Otto Sander, produziert vom DeutschlandRadio, zur sehr coolen Jazzmusik von Baby Sommer katapultiert uns zurück in flirrende Zeiten eines versunkenen Manhattan. Und: Der zum Leben erweckte Text zeigt Rappern von heute, was Authentizität bedeuten kann, was abgehen kann zwischen gereimten Zeilen, kurz: wo der Hammer hängt. Joseph Moncure March, Respekt!


Das wilde Fest, 1 Audio-CD. Audio CD. 2002. Der Audio Verlag DAV. ISBN/EAN: 9783898131735


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