D-Land  

Ich lasse mich doch nicht blöde jubeln

Uli Freier über die deutsche Lage zehn Jahre nach der Wiedervereinigung

Ich kann es nicht mehr hören, mir wird speiübel bei diesem ganzen Wiedervereinigungsdekadenschmunzus. Würgfaktor 10, ähnlich wie bei dem Wort Millennium. Ich kann es nicht mehr ertragen, dieses verlogene Getue, diese Pseudodokumentarspielfilme, Talkshows mit blassen, bleichen Angehörigen des Arbeiter und Bauernstaates lamentieren über ihr grässliches Schicksal und ihre Not. Ich ertrage diese Falschheit einfach nicht mehr, mit dem sich die Zweireihercharaktere schmücken.

»Arschloch« werden jetzt viele denken. »Was weiß der denn schon!«
     Manches, vielleicht sogar vieles. Sicher nichts alles, aber dies und jenes. Und ich lasse mich doch nicht blöde jubeln, jetzt, wo scheinbar nur noch alles Schwarz-Rot-Gold gemalt wird. Und Hammer und Sichel wieder in dem Werkzeugkasten der Geschichte verschwinden.
     84´ überkam mich das unüberwindbare Gefühl, ich müsse nun endlich die Stadt meiner Väter, Dresden, besuchen. Doch wie der Connaisseur weiß, ging dies nicht so einfach. Also wurde die Pseudoverwandtschaft der Schwiegereltern im Erzgebirge bemüht, aus A., ein schön gelegener Ort in der Nähe von Kemz ( für den nicht eingeweihten CHEMNITZ ), damals noch kraftvoll -trotzig Karl-Marx-Stadt geheißen.
     Es war eine so genannte Z(w)eck- Verwandtschaft, was heißen soll, dass sie ebenso schmarotzend war wie jener kleine, lästige Parasit. Und statt warmen Blutes soff sie Westpakete, in jeder Größe und Schwere, und zwischendurch durften es auch schon mal geschmuggelte Fliesen sein, oder Ölradiatoren, Heizstrahler, Kaffeemaschinen und Küchenquirl, aber alles wurde immer erst ausgehändigt, wenn man brav und ordentlich das HAUSBUCH ausgefüllt hatte. Kennt ihr wohl nicht mehr, was? Dieses erniedrigende Ritual des »Anmeldens«. Zwischen Hausbuch und Vopostelle. VISUM nannte man das, Visen, die De-visen brachten. Alles vergessen?
     Gummibärchen haben wir damals mitgenommen, Ketchup, Obst in Dosen, frisches Obst, Kaffee und Zigaretten, für die Bestechungsunternehmungen der »Verwandtschaft«, Süßigkeiten und Türschlösser, Fensterkitt und Ölfarbe, Handkreissäge und KIWIS.
     Und dann, als wir angekommen waren, setzte ich mich als erstes auf den Plumpsklo und schloss mit der Spinne in der Ecke eine Wette ab, wer wohl schneller wäre, das Geschäft nach unten oder die Maden nach oben.
     Und wie sittsam brav sie alle auf den Osten schimpften (Nein, einer nicht, ein einziger nicht, aber davon später), kein gutes Haar haben sie an ihm gelassen, obwohl sie doch alle davon profitierten: die Dame des Hauses, die immerhin Vorträge im Schloss Lichtenwalde hielt, und als einzige vom ganzen Kreis Flöha in der Hauptstadt der DDR noch in späten Jahren ein Studium beginnen durfte, die Töchter, die, wie durch ein Wunder, beide Kindergärtnerinnen werden durften und auch noch kaum einen halben Kilometer vom Zuhause eine Arbeit fanden (Ei gugge da), auch das Telefon war kein Problem.
     Und alle waren sie natürlich gegen das alles, gegen das ganze Parteirot, und das FDGB Blau, und man würde halt nur versuchen, das beste aus der Situation zu machen.

»Ach Tante Ruth, haste ooch den Gaffee nich vergessen, du weeßt, mir wollen de Derasse blätten«.
     Mein lieber Schwan, hört mir bloß auf mit diesen rührseligen Geschichten über den Abend der Maueröffnung. Es stinkt mir gewaltig.

Diese ganze Organisiererei, wenn die kleinen Anhänger hinter den Trabbis und Wartburgs sich nach Feierabend aufmachten zu den in der Nähe gelegenen Baustellen, auf denen nicht ein Schäufelchen Sand oder ein Stein (so denn vorhanden) sicher waren, vor der Organisationswut der Datschenrevolutionäre.
     »Nu heute müssen mer noch e bissel Kupferrohr organisieren«
     »Klauen meinst du«
     »I wo, isch dät borschen sachen« und dann wurde konspirativ gelacht, und wieder verschwandt irgendwo irgendetwas auf nimmerwiederdatschensehen.

Man verzeihe mir, wenn ich nicht einstimme in diesen falschen Choral und die Lobeshymnen, die nun allseits geträllert werden. Ich habe wirklich nie gemurrt, nicht wegen des Zwangsumtausches, als man uns einmal wegen einer angeblicher Verkehrsübertretung bis auf das Hemd ausräuberte (aber bitteschön in West), ich habe mir brav Soljanka Literweise hinter die Binde gekippt, und traf immer meine Wahl zwischen roter und grüner Brause, besorgte artig das ein oder andere Ersatzteil, schmuggelte, was das Zeug hielt, immer voller gesamtdeutscher Euphorie, und so manches mal, wenn ich von den Erzgebirglern Abschied nahm, standen mir Tränen der Rührung in den Augen.

Wie schäbig es doch war, zu beobachten, wie die Vertreter des Arbeiter und Bauernstaates, die ich das Vergnügen hatte, kennen zu lernen, selbst Familiennamen für ihre Schmiergeschäfte nutzten.
     Ich kann mich deutlich daran erinnern, dass die Bekannte, eine Geschiedenen Frau mit drei Kindern, ehe sie ihre Lieben zum organisieren aussandte, immer mit Nachdruck instruierte: »Nu sacht oooch, ihr kommt von XY (Nachname ihres zweiten Mannes, in der Partei, in der AF und auch sonst aufrechter Kommunist ).
     Und der Name öffnete Türen und Bedeutete Vitamin B.
     Nach der Wende, als es darum ging Bestellungen aufzugeben:
     »Nu vergesst nicht zu saachen, dass es für Z ist (der Name ihres ersten Mannes, in den Westen ausgebüchst, Widerstandskämpfer, wie alle).

Ich habe genau hingehört, damals, als Leipzig auf den Beinen war, und Dresden ooch..un überhaupt.
     »Wir wollen raus« das war das Erste, was geschrieen wurde. Auch wenn heute so gern daran gedacht wird, man habe damit gleich die Wiedervereinigung gemeint. »Wir sind das Volk«, entschuldigen sie liebe Leser, damit waren nicht wir gemeint. Und letztlich, letztlich war es der markerschütternde Schrei nach der D-Mark, der schließlich alle Dämme brechen ließ, als man merkte, dass keine russischen Panzer rollten, und keiner erschossen wurde.
     Und die D-Mark war der helle Mercedesstern, der über der Krippe stand, und alle, alle kamen sie, und pilgerten zur Stätte der kapitalistischen Offenbarung, und beteten ihren Heiland an.
     Nein, man komme mir nicht mit diesem ganzen schwülstigen Wiedervereinigungsgetue. Ich habe die Stapel der roten Hefter im Wohnzimmer gesehen, im Erzgebirge, Auszeichnungen für hervorragende Verdienste um den Sozialismus. Ja sicher, man konnte ja gut die Faust ballen, solange man wusste ,dass fünfzig DM West darin waren, da haben sie alle geballt und nichts wieder herausgerückt. Und wie dann die Ordner sehr schnell verschwunden waren, nach der so genannten Wende, die keine war.
     Und dann erst die Besuche im Westen, jeder Geburtstag einer noch so entfernt verwandten Cousine wurde als Anlass genommen, und das Begrüßungsgeld ließ man sich doppelt geben, einmal auf den Reisepass und beim nächsten mal auf den Personalausweis.
     Wie wir angehalten wurden, mit wildfremden Menschen Kontakt aufzunehmen, nur weil die den gleichen Nachnamen, wie die Gebirgler hatten.

Und nicht zu vergessen, die Zeckenverwandtschaft im Erzgebirge. Nach der Grenzöffnung heftigst von uns allen eingeladen, weil man doch nach so langer Zeit eine innige Verbindung vermutete:
     »Nu, ihr braucht uns de näschste Zeit gor ni einzuladen, mir wollen mal was von där Wält sähn.«

Soll ich all dies Schmarotzen, Schieben, Verschieben, Denunzieren, Intrigieren, das eben nicht nur von ein paar Stasiextremisten gemacht wurde, sondern sich im breiten Volksmaßstab vollzog, frei nach dem Motto, ich bin mir selbst der Nächste, vergessen ?

Und laut auflachen muss ich bei der plötzlich wieder entdeckten Frömmigkeit, nach 1990 schwoll die Konfirmations- und Taufrate extrem an.

Mögen sie nur weinerliche Geschichten über die DDR schreiben, über die Unbilden (die es gewiss und unleugbar gab). Aber man höre doch auf, aus diesem Geschehen eine Revolution zu stilisieren. Es war höchsten eine Form von Generalstreik eines Volkes, das endlich in den Besitz konvertierbarer Devisen kommen wollte.

Ich erinnere mich noch zu gut an die Wechselgeschäfte: 1 zu 12, war das Maximum, was mir einmal geboten wurde, west gegen ost versteht sich.
     Und als die Umtauschaktion des Bundes absehbar war, gerade herumgedreht, da wurde plötzlich an der Wartburg uns Monopolkapitalisten angeboten, man würde uns die Aluchips abkaufen. Eine Mark west für 3 Mark ost. Und plötzlich verfügten Omi und Opi über nie gekannte Liquidität auf den Sparbüchern, weil Rentner ja bei der Umtauschaktion bevorzugt wurden.
     Nä, hören sie mir auf mit all diesem falschen Getue. Einen, einen gibt es, den ich ernst nehme, einer, der in der Partei war, der daran glaubte, der keinen Wendehals bekam. Einer, der die Übernahme in die PDS mit den Worten ablehnte »Gloobt ihr, ich lasse mir noch mal vierzig Jahre belügen?« Und ihn nennen sie nun rote Socke.

Nee Sie, feiern sie ruhig, aber ich habe was besseres zu tun.
     Ich traure nämlich. Traure, weil der Hass wächst, und die Unehrlichkeit, weil die Falschheit gesiegt hat, über die hehren Ansätze eines »Bündnis 90«, über all die Optionen eines runden Tisches. Ich traure um die, die sich in der DDR ihr Rückrat bewahrten, ohne Berufsausbildung in die Wende gingen, und dann nochmals bestraft wurden - mit Arbeitslosigkeit. Ich traure um die, die den Mut besaßen, ihr gelbes Elend auf sich zu nehmen, und oft daran zerbrachen. Ich traure um die, die ihren Gott nicht verrieten, obwohl man sie dazu aufforderte vor dem Altarbild des neuen Kaisers zu opfern.

Und ich wünsche denjenigen, die die Worte OSSI und WESSI erfanden, die Krätze an den Hals. Mögen sie auf ewig in der Hölle schmoren, denn was der Beton der Mauer nicht schaffte, das schaffen diese beiden Worte, sie trennen unser Volk, unser Land, das ich mit jeder Faser meiner Seele liebe, ähnlich zerrissen wie Heine zu seinem Deutschland stand.
     Ja, ich liebe mein Land, dieses -oft verwirrte Volk, das nicht so recht weiß, wo nun sein Platz in der Geschichte ist. Aber ich liebe auch die Ehrlichkeit. Ich kann keine Lüge feiern.

Nein feiern sie ruhig, lassen sie sich weiter für dumm verkaufen. Die Wende, die Wende hat längst noch nicht begonnen, und vielleicht werden wir sie auch nicht mehr erleben. Denn die Wende ist nicht mehrwertssteuerpflichtig, und man bekommt sie weder in einem Reise - noch in einem Steuerbüro.

Uli Freier
07.11.1999

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