Die Vampire sind unter uns

Bericht einer blutigen Literaturnacht vom 29. auf den 30. November 1996

Ein bedeutendes literarisches Werk, das jeder kennt aber sicherlich die wenigstens gelesen haben, wird nächstes Jahr einhundert Jahre alt. Seine Hauptfigur ist im wahrsten Sinne des Wortes unsterblich: DRACULA. Der Ire Bram Stoker schuf eine Kultfigur. Vampirismus ist in. Die Untoten sind unter uns!

Ein Jahr vor dem großen Jubiläum hat der Weitbrecht-Verlag eine Anthologie mit Vampirgeschichten veröffentlicht. Bekannte und unbekannte Autoren schreiben über Vampire und die Lust und Frust am ewigen Leben. Im Inhaltsverzeichnis findet man Namen wie Robert Gernhardt, Herbert Rosendorfer, E. W. Heine und sogar Tanja Kinkel.

Arno LöbHerausgegeben wurde das Werk von Arno Löb, dem Fachmann in Sachen Literatur-Marketing. In Augsburg versteht er es schon seit Jahren, Literatur und vor allen Dingen Lesungen erfolgreich zu vermarkten. So wurde beispielsweise zu Ecos »Der Name der Rose« in mittelalterlichen Gewölben geschlemmt. Und im Sommer wird dort gelesen, wo man sich in Bayern eben so im Sommer aufhält: im Biergarten.

Löb war auch für die Stuttgarter Präsentation des Sammelbandes höchstpersönlich verantwortlich. Als die ersten Gäste gegen 22 Uhr im Kommunalen Kino eintrafen, kritzelte er gerade den Ablaufplan auf einen Zettel.

Michael Fuchs-Gamböck liest vor blutrote LeinwandMitgebracht hatte er außerdem vier der weniger bekannten Autoren, die ihre Geschichten vor der blutrot angestrahlten Leinwand vortrugen. Falko Blasks Geschichte hatte das wohl in den heutigen Zeiten unvermeidliche Thema Vampir, Computer und Internet zum Thema. Michael Fuchs-Gamböck griff dann das bekannte Motiv des vom ewigen Leben deprimierten und melancholisch gewordenen Vampirs auf. Sein überaus ausdrucksstarker Vortragsstil ließ die Zuhörer trotz der Länge der Geschichte gebannt zuhören, obwohl Fuchs-Gamböck zu Beginn gebeten hatte, das Publikum möge unterbrechen, wenn's denn zu viel würde.

CarmillaDanach gab's ein kurzes Intermezzo - und wer weiß: vielleicht tanzte dort eine echte Untote auf der Bühne. Ursula Schneidewind alias Carmilla tanzte das »Requiem für einen Vampir« zur Musik von John Williams. Perfekt geschminkt und mit fledermausigem Kostüm schwebte sie über die Bühne.

Ulrike und ihr Mann Friedhelm Schneidewind waren eigens aus Saarbrücken angereist, wo sie im dortigen Studio-Theater das vampireske Schauspiel Carmilla aufführen, mit dem man dieses Jahr sogar in Transsylvanien auf Tournee war. Schneidewind berichtete amüsiert, dass sogar die Pfarrer gegen jene Gottlosen predigten, die da mit einem Sarg auf dem Dach ihres VW-Passat durch Rumänien fuhren. Der Beitrag der Schneidewinds zur allgemeinen Völkerverständigung.

Schneidewind selbst las dann auch seine Geschichte vor, über das abgezapfte Blut korsischer Jungfrauen. Ein kostbares Getränk, denn »so viele Jungfrauen gibt's auch dort nicht mehr«. Außerdem las noch Wolfhard Sitter. Er verglich - ebenfalls sehr gut vorgetragen - einen Boxer und Vampire in ihrer Gier nach Blut.

Zum Abschluss des Abends wurde Francis Ford Coppolas Vampierfilm »Bram Stoker's Dracula« aus dem Jahre 1992 gezeigt. Nach so viel Worten konnte man sich in opulente Bilder stürzen. Leider waren am Ende des Films im Kommunalen Kino die Abspannmörder am Werk und das wunderschöne Liebeslied für einen Vampir von Annie Lennox fiel der Schere zum Opfer.

Wolfgang Tischer
30.11.1996

Löb, Arno (Hrsg.): Draculas Rückkehr
1996. 222 Seiten
Weitbrecht Verlag, Stuttgart
ISBN 3-522-72160-8
Mittlerweile nur noch antiquarisch zu bekommen


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