Dem Idol so nah

Tobias Freudenreich wohnte einer Lesung des Erfolgsautors Benjamin von Stuckrad-Barre bei

Devotionalien eines AbendsEs war kurz nach halb acht, als das Öffnen einer großen schwarzen Stahltür der Horde wartendender Menschen endlich den Zutritt zum Veranstaltungsort ermöglichte. Drücken und Drängen, ähnlich den Zuständen beim Winterschlussverkauf in einem großen Bekleidungsmarkt, erschwerten anfangs noch das Erreichen des Sitzplatzes, was ich bei einer Veranstaltung wie dieser eher nicht erwartet hätte. Doch schon bald saß ich beeindruckt ob der Masse an jugendlich gleichaltrigen, deren Begehr es war, an einem Montagabend einer literarischen Veranstaltung beizuwohnen, in mitten eben derer und lauschte zum ersten Mal in meinem Leben einer Lesung eines gemeinhin als »Popautor« bezeichneten Künstlers. Ob es nun die gekonnt kommerzielle Vermarktung eines vermeintlich mittelmäßigen Werkes oder eben doch die Genialität des Schaffens war, die es vermochte, die spätestens nach den Worten aus Pisa als literaturfaul verschrieenen Teenager zu fesseln und vor den Flimmerkisten zugunsten des Lesestoffes hervorzulocken, vermag ich nicht zu entscheiden. Der erzielten Wirkung ist aber sicherlich bei beiden Varianten Respekt zu zollen.
     Gleich nach Beginn des Schauspiels konnte man Begeisterung, Bewunderung und Freude aus meinen Augen lesen, wie man sie sonst nur von vierzehnjährigen Mädchen nach erfolgreichem vierstündigen In-der-ersten-Reihe-Wartens zur Sicherung des ersehnten Platzes vor dem Auftritt der angesagten männlichen Gesangsgruppe kennt. »Fan« wäre für meinen Teil der für diesen Abend eingenommenen Rolle das falsche Wort, »Idol« hingegen für die des Popautors eingenommene das Richtige gewesen.
     Gebannt lauschte ich den Sätzen, lächelte und lachte hie und da über den geschickten Wortwitz und die gekonnte Improvisation, oder auch die Vortäuschung eben dieser, und war fast ein wenig erbost über die viertelstündige Pause, die sich der Literat zum Verschnaufen und Silbensortieren einräumte.
     Nach dem Ende der Veranstaltung fand ich mich unter dem tiefen Eindruck des eben Erlebten in einer Schlange wartender Signatur-Erhascher stehend wieder, in den Händen eine vor Ort käuflich erworbene Ausfertigung des gerade in Ausschnitten gehörten Werkes. Am Tisch des Unterzeichners angekommen, versuchte ich, selbigen mit einem kleinen Scherz in einen netten Plausch zu verwickeln. Unter einem zaghaften Lachen der umstehenden Anstehenden erwiderte der Schreibende sichtlich angespannt und nervös etwas Unverständliches. So ließ ich mir mein Buch ohne Plausch von dessen Schöpfer signieren und freute mich ein wenig über die beobachtete Anspannung und Nervosität, die den Künstler nicht in die weite Ferne eines amerikanischen Superstars entrückte, sondern seine fast verblüffende Normalität aufs Banalste vermittelte.
     Danke Benjamin von Stuckrad-Barre! Danke insbesondere für den erfolgreich erbrachten Beweis, dass es nicht ausschließlich mit brilletragenden Zauberkindern zu schaffen ist, die so genannte »Null-Bock-Generation« für Literatur zu begeistern!

Weiterführende Links zum Thema:
Im Cafe: - »Ein riesengroßes Klassenfest« - Benjamin von Stuckrad-Barre hat gelesen. Ein Bericht von Wolfgang Tischer
Die Homepage von Stuckrad-Barre. Das Buch zum Abend: Benjamin von Stuckrad-Barre; Benjamin von Stuckrad- Barre: Deutsches Theater. Gebundene Ausgabe. 2001. Kiepenheuer & Witsch. ISBN/EAN: 9783462030501
Benjamin von Stuckrad-Barre: Deutsches Theater. Taschenbuch. 2008. KiWi-Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783462039917. 12,95 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Tobias Freudenreich

Der Autor des Beitrags: Tobias Freudenreich (*1980), Designer und angehender Erfolgsautor hat von den bedeutenden Literaturpreisen in den letzen Jahren keinen einzigen gewonnen. Seine Werke blühen noch im Verborgenen. Freudenreich lebt im Internet unter der Adresse http://www.freudy.de.

08.02.2002

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