Die Mainzer Minipressen-Messe - Ein literarisches Wechselbad
Von Petra Wilfert

Vom 24. bis zum 27. Mai 2001 fand in Mainz die 16. Minipressen-Messe statt. In zwei Großzelten am Rheinufer präsentierten Kleinverleger und Hersteller künstlerischer Handpressen ihre Erzeugnisse.
     Ich war hauptsächlich wegen zwei Veranstaltungen angereist, die im Rahmen dieser Messe stattfanden: Schreibworkshop und Poetry Slam.

»Nicht für die Schublade schreiben wir…«
MinipresseZum Workshop »Kreatives Schreiben« haben sich samstags um neun schätzungsweise sechzig bis siebzig Interessierte im Erfurter Zimmer des Mainzer Rathauses eingefunden. Bald nach Eintreffen der Seminarleiterin werden wir mit den hier geltenden Regeln der Kreativität vertraut gemacht:
     Regel Nr. 1: In Schreibgruppen sitzt man im Kreis! Das Sitzungsviereck wird also aufgelöst, Stühle werden über Tische gehievt. Gruppendynamisch wertvoll sitzt man nun im Kreis, die Tische im Rücken.
     Regel Nr. 2: Verwendet werden ausschließlich weißes Papier und Bleistift! Kein Kuli, kein liniertes oder kariertes Papier - makellos weiß muss es sein! Konnte es vielleicht sein, dass ich oft ratlos vor einem linierten Blatt Papier gesessen und nicht im entferntesten geahnt hatte, dass die Linien an meiner Blockade schuld waren…? Hatte mich die Erfahrung getrogen, dass man notfalls auch auf Imbissbudenpapierservietten gute Texte schreiben kann…?
     Kurze Vorstellung, gefolgt von einer Entspannungsübung. Ich kann mich schlecht darauf konzentrieren, inneres Gleichgewicht (so verlustig gegangen) zu erzielen, weil ich zu sehr darauf achten muss, mein äußeres nicht zu verlieren: Hinstellen, Augen zu, Füße über Kreuz, Fingerspitzen aneinander, atmen nicht vergessen. Im Zentrum unseres Kreises brennt ein Teelicht im hellgrünen Blütendekor.
     Es folgt eine Fantasiereise an einen Strand - an dem ich jetzt allerdings lieber wäre. Nach jeder Pause bleiben einzelne Stühle frei, eine packt ihre Sachen mittendrin und verlässt demonstrativ den Raum. Ich harre aus, bis zum bitteren Ende. Und wandere fantasiert durch Dünen, wringe dem Gedankenspaziergang einen Prosatext ab, werde dem Prinzip des Clusterns nahe gebracht (unsere Wörter kringeln wir nicht ein, nein, wir malen Eklipsen! drumherum), forme aus diesem Text dann - sozusagen konzentriert - ein Schneeballgedicht, und lerne am Rande etwas über Haikudichtung. Die vorgelesenen Texte werden nicht kommentiert, dafür ist die Zeit zu knapp, auch »Würstchen in Boxershorts« (gemeint war, glaube ich, der ganze Mann) werden nur mit einem knappen »Danke«, in der Intonation irgendwo zwischen Frage und Schlusspunkt, bedacht.
     Nicht, dass ich das alles - Cluster, Schneeball, Haiku … - nicht schon stichhaltiger aus Büchern und sehr viel interessanter aus unserer Schreibwerkstatt der heimatlichen Dorf-Volkshochschule gekannt hätte…
     »Institut«, »Dozentin«, »Studenten«. Feine Wörter, große Worte. Sie mögen einen an Universitäten erinnern, an Professoren und wohlfeile Abschlüsse. Ich möchte wetten, es gibt auch ein »Diplom«. Und das kann man sich dann übers Bett hängen.

Dichters fünf Minuten
Es gab eine Zeit, da dachte ich allen Ernstes, ein Poetry Slam hätte ausschließlich etwas mit Gedichten zu tun. Ich stellte mir vor, dass sich dort Leute trafen und Gedichte vorlasen. Keine schöne Versdichtung natürlich, das verbot sich per se, auch nicht, wie man es sonst von Lesungen kennt: Ein ernster Mensch, der sich Autor nennt, sitzend oder stehend, ein Glas Mineralwasser in Griffweite, trägt in gesetzter Weise aus seinem Werke vor. Bei einem Poetry Slam, glaubte ich, wurden die Gedichte dem Publikum sozusagen ins Gesicht geschleudert.
     Gedichte waren es, wie sich dann herausstellte, nicht ausschließlich, die an diesem Abend präsentiert wurden. Aber mit der Art des Vortragens hatte ich nicht Unrecht. Bloß, dass meine eher vage Vorstellung von der Realität noch weit übertroffen wurde.
     Samstagabend, halb neun im Kulturzentrum Mainz: »Where the wild words are«. Der Raum ist bereits brechend voll, als ich mit Verspätung meine fünf Mark Eintritt gezahlt habe. Die Stuhlreihen stehen dicht an dicht, trotzdem werden weitere Stühle benötigt und unter großem Geschepper, Metall auf Holzdielen, herangeschafft. Es ist laut, eng und stickig. Musik dröhnt aus Lautsprechern, aufgeregtes Stimmengewirr kämpft dagegen an.
     Als die beiden Präsentatoren die Bühne betreten, ertönen Fanfarenklänge, welche später auch jedem einzelnen Autor ein pompöses Entree verschaffen. Drei Durchgänge à acht Autoren soll es geben. Dem Gewinner winken 500 Mark Preisgeld. Frauen sind deutlich unterrepräsentiert. Und die wenigen schneiden nicht besonders gut ab. In die Endrunde schafft es keine. Freiwillige aus dem Publikum stimmen per Punktrichtertafeln ab, der Rest des Publikums kann das Ergebnis durch Lautstärke um je drei Punkte mehr oder weniger beeinflussen. Wer ankommt, wird infernalisch gefeiert, wer durchfällt, nicht gerade zimperlich behandelt. Was für ein erfrischender Unterschied zum dezenten Dozenten-»Danke!« vom Vormittag!
     Um in die Endrunde zu kommen, bedarf es auch einiges: Da wird ins Mikro geschrieen, geheult, gejault, gekrächzt, Haare werden sich gerauft, Mikroständer umgeschmissen, einer spuckt Feuer - alles zusammen strikt fünf Minuten lang, wer bis dahin nicht fertig gelesen hat, Pech! Kurz: Es wird sich entblößt, innerlich wie äußerlich. Einer lässt tatsächlich nicht nur den jungen wilden Dichter raushängen… Mir persönlich bleibt es ein akustisches »Schauspiel«, denn mittlerweile habe ich mich von dem unbequemen Stuhl auf ein weniger beengtes Plätzchen am Boden verzogen. Zum Aufstehen bin ich zu bequem und der Skandal zu wenig skandalös. Aber an einen gewissen Text aus dem Seminar am Vormittag erinnert es mich, den mit dem Würstchen…
     Respekt all denen, die sich auf die Bühne trauten - und gleichzeitig mein Beileid, dass einige Teilnehmer nicht über ein kleines bisschen Urteilsfähigkeit und Voraussicht verfügten. Hier ist Show gefragt! Der Autor an sich ist gefordert, sein Showtalent genauso wie der Text, den er geschrieben hat. Ohne den entsprechenden Kick - Tempo, Witz, Elan - und ohne das Talent, dieses auch entsprechend rüberzubringen, das Publikum mitzureißen, tut man besser daran, sich die Blamage zu ersparen. Wer meint, mit fadenscheinig dünnen Witzchen Applaus erringen zu können, mit aufgesetzter Pose, liegt falsch. Wer meint, sich mit Selbstbespiegelungen der sentimental-langweilig-selbstmitleidigen oder dramatisch-künstlerischen Art durchsetzen zu können, genauso. Und: In ein Mikrofon gesprochen, tun pseudo-tiefschürfende Aphorismen erst richtig weh!
     Einige Texte haben mir ausgesprochen gut gefallen - wie die Geschichte des letztendlichen Siegers, die nur aus Wörtern mit dem Anfangsbuchstaben »D« bestand (was sich vielleicht dröge anhören mag, tatsächlich aber sehr gut umgesetzt war und das Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen veranlasste).
     Ergo: Die Show macht den Poetry Slam! Da kann man um der Kurzweil wegen auch getrost vergessen, dass einige Texte auf Papier ganz und gar nicht wirken würden - oder nur halb so viel. Oder dass Texte, die auf Papier gut sind, auf einer Slammer-Bühne gnadenlos ausgepfiffen würden. Oder dass Stefan Raab & Co.  manchem als Vorbild gegolten haben mögen. Letztendlich macht's wohl die Mischung. Solange es nicht nur Vorträge à la »Mein Maschendrahtzaun und ich« gibt, kann man sich - hart aber ungerecht - sogar an miserablen Texten erfreuen. Letztendlich kann man sich etwas im eigenen Lichte sonnen. Nach dem Motto: »Also, ich schreib' schon schlecht, ja, aber sooo schlecht nu' doch nich'!«
     Fazit: Mir hat's gefallen. Der Slam, auf jeden Fall. Das Seminar… Na ja, wie die gute Frau auf dem Platz neben mir meinte: »Wenigstens war's umsonst.«

Petra Wilfert
01.06.2001


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