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Jan Ulrich HaseckeVom Internet ins Buchregal

Ein Online-Fortsetzungsroman erscheint als BoD: Jan Ulrich Hasecke berichtet über ein ganz besonderes Buchprojekt

Schreiben ist eine einsame Tätigkeit. Ich meine nicht das Schreiben von Texten für den täglichen Gebrauch: Werbetexte, Zeitungsartikel, Liebesbriefe. Ich meine das Schreiben eines Buches, eines Romans. Wenn man einen Werbetext oder einen Zeitungsartikel verfasst, hat man immer jemanden, mit dem man über die Worte, die man verwendet, sprechen kann. Und bei einem Liebesbrief schaut uns aus den Zeilen immer der Geliebte an oder die Geliebte. Bei einem Roman ist das anders. Hier sind wir mit uns selbst allein.
     Die Einsamkeit des Schriftstellers hat zwei Gesichter. Beide treiben uns mit der Zeit immer weiter in selbstgebaute Wortwelten hinein. Doch während uns das eine zuflüstert, du bist ein Genie, kichert das andere: du armer Idiot! Ob das eine oder das andere Gesicht Recht behält, erfahren wir erst, wenn ein Lektor das Werk begutachtet - oder für schlecht erachtet.
     Im Internet können wir die Dinge auf den Kopf stellen. Hier kann der Schriftsteller seine einsame Werkstatt verlassen und in ein öffentliches Sprachlaboratorium eintreten. Er kann die Leser beim Schreiben zusehen lassen.

»Was nehmen Sie mit nach Israel?«
Der Anfang des Romans »Die Reise nach Jerusalem«

Cover: »Die Reise nach Jerusalem«

Dunstschleier wellen über fernen Wäldern. Wind. Über Wäldern fern. Wellen. Schleier. Dunst-Wind. Fern.
     
Bald werde ich fliegen. Aber noch stand ich oben auf der Aussichtsterrasse des Flughafens Köln-Bonn und wartete: allein. Unter mir auf dem Rollfeld griffen weiße Polypenarme ins Leere. Durch einen dieser Arme würde ich gleich das Flugzeug nach Tel Aviv betreten: Flug 848. Aber noch war Zeit.
     
Unten, ganz winzig: nutzlos kleine Paketwägelchen. Ich ganz erhobenerhaben und windzerzaust. Passend zum Reiseziel. - Das gelobte Land: Fels, Sonne, Wind. Wie's glänzende Prospekte versprachen.
     
Hinter mir trotzte sphärisch gewölbt der Glanz eines hellen Betonphallus nackt-funktional in den blauen Sommerhimmel. Unter der glatten Betonvorhaut das Eigentliche: der sensible Radar. 1 feine Daunenfederwolke schwebte darüberdahinter.

*

Schlackern wie Gummi diese Flügel! Grauer Asphalt jagte vorbei. Schneller, schneller. Und diese brütende Hitze in der engen Maschine!
     
Schlacker-Schlacker. Und - der Magen wurde ins Kreuz gedrückt - die Erde entschwand, fiel nach unten weg - Schwindel - .
     
Dann zeigte die Erde mir ihr bemoostes Gesicht. Der geschmacklose Flickenteppich einer Spielzeuglandschaft verbarg vergessene Züge.
     
Neben mir, die Maschinenpistole zwischen den Beinen, saß der feldgrüne Soldat. Zu unserer Sicherheit. Alles zu unserer Sicherheit. Selbstverständlich. Auch diese sorgfältigen Befragungen vor dem check-in.
     »Haben Sie Ihren Koffer selbst gepackt? / Weshalb reisen Sie nach Israel? / Wen besuchen Sie in Israel? / Hat Ihnen Irgendjemand etwas mitgegeben? Ein kleines Geschenk? Ein unscheinbares Paket? Was nehmen Sie mit nach Israel? / Welche Orte in Israel wollen Sie besuchen? / Wissen Sie, warum wir all-diese Fragen stellen?« Aber ja: einem Unwissenden öffnet der seriöse Reiseführer schnell die Augen. Sie haben keine Ruhe - die fernen Juden. Weiter…

Wie alles begann
Die ersten Skizzen zu dem Roman »Die Reise nach Jerusalem« reichen bis ins Jahr 1983 zurück. In diesem Jahr flog ich nach Israel und das Land hat mich nicht wieder losgelassen. Immer wieder versuchte ich die Eindrücke der Reise in eine literarische Form zu gießen und mit Geschichten und Ideen zu verknüpfen, die sich nach und nach ansammelten. Der Roman erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der zur geschichtslosen zweiten Nachkriegsgeneration gehört. Das klingt vielleicht absurd, aber diese Generation muss sich ihre Geschichte erst erleben. Die geschichtslose Generation, das sind die, die in den 60er Jahren und später geboren wurden. Sie sind in Frieden und Wohlstand aufgewachsen und kennen Krieg nur aus dem Fernsehen. Der Protagonist des Romans erfährt erst in Israel, das auch er mit der Geschichte, der deutschen Geschichte, verbunden ist - und zwar nicht nur intellektuell.

Wenn der Leser zum Lektor wird …
Die Lösung entstand aus der Verbindung moderner Technik mit einer alten literarischen Form: dem Fortsetzungsroman. 1999 entschloss ich mich, den Roman in kleinen Portionen nach und nach im Sudelbuch zu veröffentlichen. Das Sudelbuch bot dafür einen idealen Rahmen. Denn die Leser waren schon daran gewöhnt, in einem täglichen Rhythmus kürzere literarische Texte zu lesen. Und da die Texte nicht nur als Webseite, sondern auch per E-Mail-Abo verteilt wurden, gab es eine Art konstanter Leserschaft, die über einen längeren Zeitraum am Ball blieb.
     So wurden die Leser des Sudelbuchs zu Lektoren. Die Reaktionen waren zumeist positiv. Dies war wichtig. Aber es kamen auch kritische Stimmen und dies war noch wichtiger. Neben einigen Details, zumeist sachliche Fehler, Ungenauigkeiten und Missverständliches, was schnell korrigiert oder gestrichen war, riet mir Dirk Schröder (www.textgalerie.de), das erste Drittel des Romans um gut die Hälfte zu kürzen. Das war nicht leicht, denn als selbstverliebter Autor verfällt man schnell dem - in der Einsamkeit genährten - Glauben, auf kein einziges Wort verzichten zu können.

… braucht der Autor keinen Verlag
Verlage können zwei Vorteile haben. Erstens beschäftigen sie Lektoren, die ein Buch von allen überflüssigen Worten befreien. Und zweitens können sie die Vermarktung eines Buches vorantreiben. Letzteres ist den Verlagen, wenn der Autor unbekannt ist, viel zu mühsam und riskant. Und einen Lektor brauchte ich nicht mehr. Also machte ich mir erst gar nicht die Mühe, einen Verlag zu suchen, mit dem ich dann den kärglichen Gewinn auch noch teilen müsste, und entschloss mich, den Roman als Book on Demand herauszubringen.
     Ein Book on Demand herauszubringen ist jedoch wieder eine einsame Tätigkeit. Denn man muss fast alles selbst machen: Satz, Korrekturlesen und die Umschlaggestaltung. Ich konnte bei der Produktion von drei Dingen profitieren: Der Buchsatz war dank LaTeX fast ein Kinderspiel. Intensives Korrekturlesen gehört für mich schon beruflich zum Alltag. Und für die Gestaltung des Umschlags konnte ich einen befreundeten Grafikdesigner gewinnen.
     Da ein BoD sich wohl nie in die Auslage eines Buchladens verirrt, kam es mir bei der Gestaltung darauf an, dass der Titel auch als Briefmarke auf einer Webseite noch ansprechend wirkt. Dies ist gar nicht so einfach.
     Leider muss man als Autor ohne Verlag auch die Vermarktung des Buches übernehmen. Bei den meisten kleineren und mittleren Verlagen dürfte dies jedoch ebenso sein, so dass dies kein Argument gegen BoD ist. PR kostet in jedem Fall Zeit und Geld. In letzter Konsequenz bedeutet das, dass ein Book on Demand von der Mundpropaganda lebt.

Und die Erfahrungen mit Libri?
Die Abwicklung mit Libri war bisher unproblematisch. Die Verträge erscheinen mir generell fair formuliert. Allerdings ist ein Book on Demand nicht gerade billig. Die Anfangskosten sind recht hoch. Und da ich der Meinung bin, dass ein Roman mit 150 Seiten nicht mehr als 20 DM kosten sollte, komme ich erst nach knapp 350 verkauften Exemplaren in die Gewinnzone.
     Jetzt weiß ich auch endlich, warum mich das Wort Belletristik immer an das lateinische Wort für Krieg »bellum« erinnert. Auch mit Print on Demand bleibt es ein Kampf.

Jan Ulrich Hasecke
15.12.2000

Jyri Hasecker; Nikolaus Henkel (Series Editor); Jürgen Sarnowsky (Series Editor): Die Johanniter und die Wallfahrt nach Jerusalem (1480-1522) (Nova Mediaevalia: Quellen und Studien zum europäischen Mittelalter, Band 5). Gebundene Ausgabe. 2008. V&R unipress. ISBN/EAN: 9783899714623. 75,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Jan U Hasecke: Die Reise nach Jerusalem. Taschenbuch. 2000. Books on Demand GmbH. ISBN/EAN: 9783831103218
Jan Ulrich Hasecke: Die Reise nach Jerusalem. Kindle Ausgabe. 2016. Jan Ulrich Hasecke. 5,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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