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Zwei Abende, zwei Männer, zweimal ausverkauft

Gregor Gysi und der schwedische Bestsellerautor Henning Mankell waren auf den Stuttgarter Buchwochen zu Gast

Gregor Gysi: Der Genosse spricht zum Volk

Der Gregor Gysi AbendDer Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Vor dem Eingang hoffen noch einige geduldig auf Einlass, obwohl bereits bekannt gegeben wurde, dass die Veranstaltung ausverkauft sei. Das Publikum wirkt überwiegend konservativ schwäbisch und ist nicht unbedingt als jung zu bezeichnen. Ein Publikum, wie man es sich bei einer Wahlkundgebung der CDU vorstellen könnte. Doch heute Abend kommt nicht Erwin Teufel, sondern sein Gegenteil: der letzte SED-Parteivorsitzende der DDR aus Ost-Berlin.
     Der betritt dann kurz nach 20 Uhr den Saal. Seine Leibwächter postieren sich rechts und links der Bühne und werden nun für fast zwei Stunden das Publikum im Auge behalten.
     Der ehemaliger Parteivorsitzende, ohnehin nicht groß, setzt sich auf der niedrigen Bühne in einen Metallstuhl und bleibt den hinteren Reihen für den Rest der Veranstaltung nur akustisch präsent. Aber das genügt. Der Sozialist, für seine Rhetorik und verbalen Umgarnungen bekannt, hat auch das Stuttgarter Publikum nach spätestens 10 Minuten im Griff. Entspannte Gesichter blicken begeistert zur Bühne, und das Volk klatscht, wenn der Politiker über die konservativen Gegner gefällige satirische Bemerkungen fallen lässt, hört ernst zu, wenn der Mann gegen den Krieg in Afghanistan argumentiert, ohne aber den Krieg im allgemeinen zu verdammen. »Das lässt sich auch ganz einfach erklären!« mag der Schlüsselsatz des Abends sein. Und so erklärt er: warum Berlin zu viel Beamte und Angestellte hat, aber der öffentliche Nahverkehr mehr Personal braucht; warum er ein Buch geschrieben hat, das er aber diktiert hat; warum die eineinhalb Minuten in Radio und Fernsehen die Menschen zur Oberflächlichkeit zwingen, er aber dennoch kein Interview auslässt; und natürlich auch, warum er gute Beziehungen zur Stasi hatte, er aber jeden mit einer Unterlassungsklage versieht, der ihn als informellen Mitarbeiter derselben denunziert.
     Der Moderator des Abends hält sich wohlweislich zurück. Der politische Redner braucht nicht mehr als Stichworte. Er nimmt das Publikum mit seiner vermeintlichen Ehrlichkeit ein, bedauert, dass die Partei in Berlin von so viel jungen Menschen, öffentlichen Angestellten und selbst Arbeitgebern gewählt wurde, die sich aber leider - ein strukturelles Problem - nicht in der Partei organisierten. Und so schlecht sei die Partei wirklich nicht! Auch der Wirtschaft schade der Sozialismus nicht. Nach dem Wahlerfolg der seinen, so bemerkt der ehemaliger Parteivorsitzende der DDR, sei der DAX nach oben, und drei Tage später, als die SPD nicht mit ihnen koalieren wollte, da sei er... »Wieder nach unten gegangen!«, ergänzt der Mann neben mir erheiternd und schenkelklopfend. Ob's stimmt oder nicht, ist ja auch egal. Die unterschwellige Botschaft des Redners ist auf jeden Fall verankert.
     Das Volk ist in seinem Bann. Allerweltssätze wie »Krieg löst keine Probleme, sondern schafft neue!« werden genauso beistimmend beklatscht wie die, bei denen die Grenze der Pietät eigentlich schon überschritten ist: Es tue gut, so der ostdeutsche Politiker, wieder in den alten Beruf des Rechtsanwalts zurückzufinden, auch wenn es bei dem schlimmen Fall eines vergewaltigten und ermordeten Kindes sei. Aber es mache auch Sinn, Leuten konkret zu helfen. Applaus.
     Aber sei denn, so fragt ein Mann aus dem Volk, die Partei auch ökologisch? Klar doch, sagt ihr ehemaliger Vorsitzender. Er erläutert kurz, warum man den ostdeutschen Bürgern zwar die Autos nicht wegnehmen dürfe, aber da die ökologische Frage ja auch eine soziale sei...
     Auf jeden Fall kann der ehemalige Parteivorsitzende an diesem Abend auch diesen Gegensatz fürs Publikum zufriedenstellend erklären. Applaus!

Gero von Büttner

Gregor Gysi: Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn. Taschenbuch. 2002. Rowohlt Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783499613630

 

Henning Mankell: Krokodile in Schweden

Der Henning Mankell AbendNein, sagt der schwarz gekleidete Mann auf der Bühne, eigentlich käme sein Roman jetzt viel zu melancholisch rüber. Das sei er ja gar nicht. Es sei auch ein Text, der viele komische Stellen enthält. Denn wenn ein afrikanischer Junge im 17. Jahrhundert plötzlich von einem Naturforscher nach Schweden gebracht werde, dann erlebe dieser Junge hier auch sehr viel Amüsantes, weil er diese europäische Welt mit den Augen und Gefühlen eines Afrikaners erlebt. Und dann setzt sich der Mann auf der Bühne wieder, denn eigentlich müsse er die Stimmung seines Romans ja nicht verteidigen.
     Nein, das muss er wirklich nicht, denn letztendlich dürfte es gerade diese melancholische Grundstimmung seiner Werke sein, die sie auch in Deutschland so beliebt machen. Der Autor heißt Henning Mankell, und den Stuttgarter Buchwochen, deren Gastland im Jahre 2001 Schweden ist, ist es gelungen, den derzeit erfolgreichsten schwedischen Autor für eine Lesung zu gewinnen. Der Saal ist ausverkauft, und natürlich sind viele gekommen, weil sie den literarischen Schöpfer von Kommissar Kurt Wallander kennen lernen wollen.
     Seit Jahren stehen Mankells Krimis auf den Bestsellerlisten. Aber auch seine Afrika-Romane finden sich dort, und während Mankell auf der Bühne erzählt, hat man nie den Eindruck, dass ihm die eine oder andere Art von Roman wichtiger sei. Er selbst lebe den größten Teil des Jahres in Mosambik, und diese Distanz mache aus ihm einen besseren Europäer. Schon in seiner Kindheit habe er in seiner verschneiten nordschwedischen Heimat Krokodile in den Flüssen gesehen, und Afrika war für ihn damals das Ende der Welt. Mit 20 Jahren dann sei er das erste mal dort gewesen und habe feststellen müssen, dass es bei weitem nicht das Weltende war. Aber das Land fasziniere ihn bis heute. Aber nie, so fügt er mit einem Schmunzeln hinzu, seien es romantische Gründe gewesen, die ihn dorthin geführt haben.
     Mankell spricht Englisch. Er finde es sehr bedauerlich, dass er an diesem Abend selbst kein Deutsch sprechen kann, obwohl er die Sprache sehr gut verstehe, aber er sei gerade längere Zeit in Portugal gewesen, und er brauche noch ein, zwei Tage, um diese Sprache aus seinem Kopf zu kriegen. Die Passagen aus Mankells Romanen »Die rote Antilope« und »Die Brandmauer« liest daher Rudolf Guckelsberger gekonnt und mit angenehmer Stimme vor.
     Und dann kommt die Rede natürlich auf seine Krimis und seinen Kommissar Kurt Wallander. Noch immer überrascht es ihn selbst, wie real eine literarische Figur für den Leser werden kann. Es gebe schon einen richtiggehenden Wallander-Tourismus in der schwedischen Kleinstadt Ystad, und die Stadtverwaltung könne die Straßenschilder an der Mariagatan, dem Wohnort Wallanders, gar nicht schnell genug anschrauben, schon haben Fans sie wieder entfernt. »Aber glauben Sie mir,« so beteuert er, »auch ich weiß nicht alles über Kurt Wallander.« Die Entstehung der Figur lasse sich anhand Mankells Tagebucheinträge genau datieren. Es war der 17. Mai 1989, an dem die Schaffung eines Kriminalbeamten notwendig wurde, und der Name stammt aus dem Telefonbuch. Ein Verbrechen ist für Mankell ein Spiegel der Gesellschaft, und ein Verbrechen macht eine Figur notwendig, die es aufzuklären versucht. Nie ist es der Gedanke »Was soll Wallander diesmal erleben?«: das ergebe sich zwangsläufig.
     »Die Brandmauer« sei aber auch das letzte Buch mit Wallander als Hauptperson. Man solle aufhören, bevor es für den Leser aber auch für den Autor langweilig wird.
     Allerdings werde es nächstes Jahr im Sommer einen neuen Krimi geben, in dem Wallanders Tochter Linda die Hauptrolle spielt. Diese beschließt Polizistin zu werden. Wallander selbst wird in diesem Krimi nur als Nebenfigur auftreten, denn seine Tochter wird anders handeln als er. »Ich verspreche Ihnen einen Krimi, der gänzlich anders ist als die, die Sie bislang kennen. Ob mir das gelingt,« so räumt der Autor lächelnd ein, »das werden wir alle nächstes Jahr erfahren.«

Wolfgang Tischer

Henning Mankell; Verena Reichel (Übersetzung): Die rote Antilope: Roman. Gebundene Ausgabe. 2001. Paul Zsolnay Verlag. ISBN/EAN: 9783552051690. 21,50 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Henning Mankell: Kurt Mankell Konvolut 10 Bände: Wallander Fall1-3, Fall 5-8, Vor dem Frost, die rote Antilope, das Auge des Leoparden, die flüsternden Seelen. Taschenbuch. 2001. dtv
Henning Mankell; Verena Reichel (Übersetzung): Die rote Antilope: Roman. Taschenbuch. 2003. dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783423130752. 9,90 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Henning Mankell; Verena Reichel (Übersetzung): Die rote Antilope: Roman. Kindle Ausgabe. 2013. Paul Zsolnay Verlag. 9,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

Henning Mankell; Wolfgang Butt (Übersetzung): Die Brandmauer: Roman. Gebundene Ausgabe. 2001. ZSOLNAY-VERLAG. ISBN/EAN: 9783552051683. 24,90 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Simon Beckett; Jilliane Hoffman; Sebastian Fitzek; Cody Mc Fadyen; Henning Mankell; Jo Nesbo: Tiere / Cupido / Die Therapie / Die Brandmauer / Der Todeskünstler / Rotkehlchen (Bild am Sonntag Mega Thriller). Gebundene Ausgabe. 2012. Axel Springer. ISBN/EAN: 9783942656139
HENNING. MANKELL: Die Brandmauer. Gebundene Ausgabe. 1998. Wien : Zsolnay,
Henning Mankell; Wolfgang Butt (Übersetzung): Die Brandmauer: Kurt Wallanders 8. Fall: Kriminalroman (Kurt-Wallander-Reihe, Band 9). Taschenbuch. 2010. dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783423212199. 10,95 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

27.11.2001

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