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Hörbuchkritik: Die Arbeit der Nacht

Buch gegen Hörbuch: Die Arbeit der Nacht von Thomas GlavinicDie Arbeit der Nacht von Thomas Glavinic ist für mich ein ganz besonderer Roman. Noch bevor er in den Feuilletons überaus positiv besprochen wurde, verbrachte ich zusammen mit dem Autor einen Tag in Wien, um den Podcast www.die-arbeit-der-nacht.de zu produzieren. Ich bemerkte damals, dass in der Herbstvorschau des Hanser Verlags noch kein Hörbuch zu diesem Roman angekündigt wurde. Da dies bei anderen Titeln durchaus geschah, nahm ich es als Indiz, dass auch der Verlag nicht sicher war, ob das Buch ein Erfolg werden würde. Aber es wurde einer.

Jetzt, gut ein halbes Jahr später, hat sich HörbucHHamburg die Rechte gesichert und veröffentlicht Die Arbeit der Nacht als Hörbuch, gelesen von Heikko Deutschmann. Es gab in letzter Zeit kein Hörbuch, auf das ich mit größerer Spannung gewartet hätte. Wie gut hat man Glavinic’ grandiosen Roman akustisch umgesetzt?

Die 6 CDs des Hörbuchs kommen in einem schicken schwarzen Pappcover daher. Die grafische Gestaltung lehnt sich ans Buch an, wobei der Hintergrund hier schwarz und nicht wie das Buch in einem leichten Braun gestaltet wurde. Das sieht durchaus edler aus. Auch dem identischen Titelbild hat man etwas mehr Farbsättigung gegeben.

Das erste Hoppla-Erlebnis kommt jedoch schon beim zweiten Wort: Deutschmann spricht den Namen des Autors falsch aus! Er sagt Glavinick statt Glavinitsch. Peinlich!

Davor überkam mich bereits eine andere Skepsis, denn bei der Lesung auf 6 CDs handelt es sich um eine gekürzte Fassung. Nun soll an dieser Stelle nicht die alte Diskussion um das Pro und Contra gekürzter Hörbuchfassungen geführt werden. Tatsache ist jedoch, dass ich nur selten gekürzte Fassungen gehört habe, bei denen die Kürzung nicht aufgefallen wäre und die Geschichte in Logik oder Nachvollziehbarkeit merklich litt.

Leider ist auch das Hörbuch zu Die Arbeit der Nacht ein solches Negativbeispiel, das zeigt, wie man durch schlampige und unsensible Kürzungen einen Text entwerten kann.

Nun ist es so, dass sich der komplette Plot des Buches in vier Sätzen zusammenfassen lässt. Um nicht allzu viel vom Inhalt zu verraten, nenne ich nur die beiden ersten: Die Hauptfigur Jonas erwacht eines Morgens und muss feststellen, dass über Nacht alle Menschen und Tiere auf der Welt verschwunden sind.

Wie Jonas mit dieser erschreckenden Tatsache umgeht und sich auf die Suche nach weiteren Menschen macht, das beschreibt Glavinic auf ziemlich exakt 400 Seiten, die alles andere als langweilig sind. Neben der Handlung ist das Buch voll von Beobachtungen, teilweise irrwitzigen Gedankengängen und Überlegungen des Protagonisten und atmosphärischen Schilderungen.

Viele davon sind im Hörbuch nach einem nicht nachvollziehbaren Muster gekürzt oder ganz entfernt worden. In meinem Fall sind es gerade die, die mich beeindruckt haben und mir immer wieder in den Sinn kommen, wenn ich an das Buch denke. Nicht umsonst habe ich hauptsächlich sie für den Podcast ausgewählt. Indem diese Ausschmückungen fehlen, wird das Hörbuch zwischen CD 2 und 4 unglaublich langweilig, wozu auch der Vorleser massiv beiträgt – dazu aber später. Doch es sind neben der Konzentration auf die reine Handlung auch Schlampigkeiten bei der Kürzung, die das Hörbuch abwerten. So wurde beispielsweise beim ersten Wiener-Prater-Besuch von Jonas die sehr schöne Passage mit dem »Fliegenden Teppich« weggelassen. Ein paar Absätze später wurde jedoch ein Satz nicht herausgeschnitten, der sich wortwörtlich auf diese Passage bezieht. Der aufmerksame Hörbuch-Hörer wird sich wundern, was damit gemeint ist. Zweites Beispiel: Auf dem Donauturm in Wien verknotet Jonas einige Tischtücher zu einem großen Banner und schreibt darauf ein Wort. Im Hörbuch holt er dazu Farbtuben. Aber woher hat er diese plötzlich so schnell griffbereit? Der Hörbuch-Hörer wundert sich und der Buch-Leser weiß es: Die Malutensilien befanden sich in einer Spielecke für Kinder. Aber just diese fünfzeilige Erwähnung, die die Sache plausibel macht, wurden im Hörbuch gestrichen. Ich hoffe nicht, dass man bei HörbucHHamburg davon ausgeht, dass solche Flüchtigkeiten dem Hörer egal sind.

Zurück zum Vorleser Heikko Deutschmann: Deutschmann liest mit einer klaren, druckvollen Stimme und leicht rauem Ton, einer Stimme, die oftmals mehr nach Nachrichtensprecher als nach Erzähler klingt. Er variiert die Stimmlage selten, und wenn dies sehr merkbar geschieht, dann scheint das eher an unterschiedlichen Aufnahme-Tagen zu liegen (z.B. CD 2, Track 10). Am Anfang hat mir Deutschmanns Stimme sehr gut gefallen, denn der nüchterne Ton passt sehr gut zu den beginnenden Merkwürdigkeiten in Jonas’ Leben, da er einen dramaturgischen Gegensatz schafft. Auch bei der letzten CD lauscht man Deutschmann wieder gerne, da hier ebenfalls dieser Gegensatz seinen Reiz hat. Dazwischen aber langweilt die Produktion. Das liegt an den oben erwähnten Kürzungen, aber auch am nüchtern-sachlichen Schilderungston des Sprechers. Während man beim Selbstlesen des Buches immer erstaunter, vorsichtiger, aber auch gebannter weiterliest, bringt Deutschmann von diesem Erstaunen, der Vorsicht und dem Gebanntsein kaum etwas rüber. Die größten Ungeheuerlichkeiten liest er mit solcher Gleichgültigkeit vor, dass sie untergehen. Gerade hier trägt das Stilmittel des sprachlichen Gegensatzes überhaupt nicht. Hier müsste der Sprecher in die Gefühlswelt des Protagonisten eintauchen, um den Hörer mitzunehmen und Langeweile zu vermeiden. In einigen Selbstgesprächen gib Deutschmann seinem Jonas zudem eine Stimme, die an das »Harhar« der Panzerknacker aus Entenhausen erinnert.

Deutschmann ist ein guter, präziser Vorleser, das steht außer Frage, doch für den Text in seiner Gesamtheit ist er die falsche Besetzung. Ein Sprecher mit mehr Variation in der Stimme wäre besser gewesen. Und wenn ich mir einen Vorleser hätte wünschen dürfen, dann hätte ich zudem einen Österreicher gewählt, bei dem das Wienerische noch ganz ganz leicht durchschimmert.

Wer das Buch von Thomas Glavinic gelesen hat, dem kann man das Hörbuch zum Wiederhören nicht empfehlen, denn man wird schmerzlich einige schöne Stellen vermissen wie beispielsweise die wunderbare atmosphärische Stimmungsbeschreibung im Stephansdom. Wer das Buch nicht kennt und stattdessen das Hörbuchs hört, der wird sich fragen, was die vielen begeisterten Leser und Rezensenten an diesem langweiligen Text finden. Dabei ist das Buch in keinster Weise langweilig.

Daher muss mein Rat am Ende dieser Hörbuchbesprechung lauten: Kaufen und lesen Sie das Buch! Es lohnt sich.

Wolfgang Tischer 

Thomas Glavinic: Die Arbeit der Nacht. Gebundene Ausgabe. August 2006. Hanser. ISBN 978-3446207622. EUR 21,50 (Bestellen bei Amazon.de)

Thomas Glavinic, Heikko Deutschmann: Die Arbeit der Nacht. Audio CD. Februar 2007. Hörbuch Hamburg. ISBN 978-3899034141. EUR 29,95 (Bestellen bei Amazon.de)

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