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Filmkritik: Tschick von Wolfgang Herrndorf – Wortwörtlich wegverfilmt

Tschick (Anand Batbileg) und Maik (Tristan Göbel) (Foto: Studiocanal)
Tschick (Anand Batbileg) und Maik (Tristan Göbel) (Foto: Studiocanal)

Tschick ist im Kino. Fünf Jahre nachdem der Roman von Wolfgang Herrndorf erschienen ist und zum Bestseller wurde, hat Regisseur Fatih Akin (Gegen die Wand, Soul Kitchen) den Roman wortgetreu in bewegte Bilder verwandelt.

Der Film »Tschick« ist gefällig adaptiert – doch leider auch mutlos.

Der Roman »Tschick« erschien 2010. Im Jahr darauf erhielt das Werk von Wolfgang Herrndorf den Deutschen Jugendliteraturpreis und war nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse. In der dramatisierten Fassung und in verschiedenen Inszenierungen war »Tschick« eine Zeit lang das am häufigsten gespielte Stück auf deutschen Bühnen.

Dennoch sollte es fünf Jahre dauern, bis der Film nun ab 15. September 2016 in den Kinos zu sehen ist. An der Produktion beteiligt waren zahlreiche ARD-Anstalten – und erstaunlicherweise auch Amazon Prime.

Eine gewichtige Nebenrolle: Der himmelblaue Lada
Eine gewichtige Nebenrolle: Der himmelblaue Lada (Foto: Studiocanal)

Wolfgang Herrndorf erlebte noch die ersten Schritte zur Verfilmung mit. Das Drehbuch schrieb Lars Hubrich, der mit Herrndorf befreundet war. Wolfgang Herrndorf hat sich 2013 erschossen. Er war unheilbar an einem Gehirntumor erkrankt.

Als Koautor des Films ist Hark Bohm genannt. Bohm, inzwischen 77 Jahre alt, ist sozusagen Fachmann für den deutschen Ausreißerfilm. 1976 schuf Hark Bohm den Film »Nordsee ist Mordsee«, in dem ein langhaariger minderjähriger Jugendlicher zusammen mit einem asiatisch aussehenden Mitschüler, mit dem ihm an Anfang nicht unbedingt eine Freundschaft verbindet, dem Elternhaus entflieht. Erstaunlich, dass diese verkürzte Inhaltsangabe genau 40 Jahre später zu 100% auch auf »Tschick« zutrifft.

Filmteam am Set: v.l.n.r.: Fatih Akin (Regie), Anand Batbileg (Tschick), Tristan Göbel (Maik), Hark Bohm (Künstlerischer Berater), Marco Mehlitz (Produzent, Lago Film), Lars Hubrich (Drehbuch), Michael Töteberg (Rowohlt Verlag) sowie die Witwe von Romanautor Wolfgang Herrndorf (Foto: Studiocanal)
Filmteam am Set v.l.n.r.: Fatih Akin (Regie), Anand Batbileg (Tschick), Tristan Göbel (Maik), Hark Bohm (Künstlerischer Berater), Marco Mehlitz (Produzent, Lago Film), Lars Hubrich (Drehbuch), Michael Töteberg (Rowohlt Verlag) sowie die Witwe von Romanautor Wolfgang Herrndorf (Foto: Studiocanal)

Tschick ist der Spitzname von Andrej Tschichatschow, Sohn russischer Spätaussiedler, der eines Tages neu in die Klasse von Maik Klingenberg auftaucht. Klingenberg ist der Ich-Erzähler in Herrndorfs Roman, und Regisseur Fatih Akin übernimmt diese Perspektive mit Maiks Voice-Over-Stimme auch im Film.

Natürlich hat jede Leserin, hat jeder Leser einen eigenen Tschick im Kopf. Daher ist die Frage interessant, wie der Film-Tschick im Vergleich zum persönlichen Buch-Tschick geraten ist. Das kann man bereits im Trailer sehen: Tschick sieht erstaunlicherweise nicht wie ein Russe, sondern wie ein Mongole aus. Und das, obwohl Tschick nach eigenen Angaben Verwandtschaft in der Walachei hat, die im Süden Rumäniens liegt.

Doch schaut man in den Roman, dann steht genau das da: »Sah aus wie ein Mongole«. Tschick hat »extrem hohe Wangenknochen« und vor allen Dingen ist er bei Herrndorf trotz seiner 14 Jahre zunächst ständig sturzbesoffen. Die von Maik erwähnten Schlitzaugen sind also eher auf den Alkoholpegel zurückzuführen, die Titulierung als Mongole daher wohl metaphorisch-scherzhaft gemeint.

Regisseur Akin setzt sie visuell wortwörtlich um, obwohl er die Figur des Tschick ansonsten leichter zeichnet als Herrndorf. Die 1:1-Umsetzung ist jedoch Programm. Metaphorisch ausgedrückt, ist der Kinofilm das abgefilmte Buch. Fast sklavisch hält sich der Film auch beim Plot an die Buchvorlage. Nur am Schluss wird abgekürzt, so fehlen beispielsweise Täubchen in der Braunkohlegrube und die Sprachtherapeutin mit dem Feuerlöscher. Gerne hätte man sie im Film gesehen, und ein klein wenig hofft man, diese Szenen könnten für eine dreistündige und zweiteilige Fernsehfassung vorgesehen sein, die im kommenden Jahr zunächst exklusiv beim Mitproduzenten Amazon Prime und dann etwas später in der ARD zu sehen sein wird.

Dass sich der Film eng am Buch orientiert, ist grundsätzlich nicht schlecht. Oft wirft man Filmen eher das Gegenteil vor. Das geht sogar so weit, dass viele Dialoge des Buches 1:1 in den Film übernommen wurden. Auch die Stimmungslage des Buches ist gut übertragen. Selbst absurde Passagen des Romans, wie der »Adel auf dem Radel« oder die Öko-Familie in der Brandenburgischen Provinz, werden von Fatih Akin nie unrealistisch überzeichnet. Sie werden weder zu Loriot light noch zu einer platten Komödie.

Filmplakat Tschick. Klicken zum Vergrößern. (Foto: Studiocanal)
Filmplakat Tschick. Klicken zum Vergrößern. (Foto: Studiocanal)

Tschick ist ein gefälliger Film, der den Geschmack des Kinopublikum treffen wird, egal ob jung oder alt. Ein Roadmovie, eine Geschichte des Erwachsenwerdens. Wie das Buch, so versucht auch der Film zeitlos zu sein. Nichts fällt auf, nichts tut weh, nichts eckt an, auch der Soundtrack nicht. Wer das Buch gelesen hat, der weiß, was kommt. Fatih Akin hat im Grunde nichts falsch gemacht. Erfreulich auch, dass er auf unbekanntere Darsteller setzt und nicht auf deutsche Kino-Prominenz.

Man könnte dem Film aber auch Mutlosigkeit vorwerfen. Er entwickelt nichts Eigenes, liefert nichts, was nicht auch das Buch schon hat – obwohl dieses weitaus mehr hat. In den ersten Minuten glaubt man noch, der Film spiele mit Fantasiesequenzen, wenn Maiks Schwarm Tatjana ihm wider Erwarten doch eine Einladung zu ihrer Geburtstagsparty reicht oder Maik seinen Vater und dessen »Assistentin« eiskalt mit der Fingerpistole abknallt. Doch rasch gibt der Film dieses Stilmittel auf.

Der Film ist die leichte Sommervariante von Herrndorfs Tschick. Er wird gefallen. Ein unterhaltsamer Kinoabend. Das ist vollkommen in Ordnung. Es hätte schlimmer werden können.

Wolfgang Tischer

Tschick. Nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf. Mit Anand Batbileg, Tristan Göbel, Mercedes Müller u.a. Drehbuch: Lars Hubrich, Fatih Akin, Hark Bohm. Regie: Fatih Akin. Deutschland 2015. FSK 12. 92 Minuten. Website: www.tschick-film.de
Kinostart: 15.09.2016

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1 Kommentar

  1. Auch in Russland leben Nachkommen mongolisch stämmiger Völker, wie die Tataren, die eine größere Minderheit darstellen. Zudem wären “Schlitzaugen” in Anführungszeichen zu empfehlen gewesen…

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