StartseiteBuchkritiken und Tipps»Denkwürdigkeiten« von Eckhard Henscheid: Ein erledigter Fall?

»Denkwürdigkeiten« von Eckhard Henscheid: Ein erledigter Fall?

Buchumschlag: Eckard Henscheid - DenkwürdigkeitenAuf der Suche nach Interessantem forschte ich bei meinem Lieblingsbuchhändler in den Regalen, denn was ausliegt, sind meist Massenware, so genannte Bestseller, also etwas, wovon ich aus Erfahrung die Finger lasse: Ausnahmen bestätigen diese Regel! Im Regal stieß ich auf Eckhard Henscheids »Denkwürdigkeiten – Aus meinem Leben«.

Freudig schnappte ich mir die über 400 Seiten starken Erinnerungen und legte sie auf den Tresen. »Toll, nicht?« strahlte mich mein Lieblingsbuchhändler an, und ich strahlte zurück.

Eckhard Henscheid! Seit seiner »Trilogie des laufenden Schwachsinns« aus den Siebzigern einer meiner höchstverehrten literarischen Lieblinge! Mein absolutes Lieblingsbuch von ihm ist »Dolce Madonna Bionda«, wo der Feuilletonist Dr. Bernd Hammer sich auf die Suche macht nach einer Verflossenen, die ihm angeblich geheimnisvolle Botschaften schickt, z. B. MOSCH, auf eine Mauer gemalt.

Stilistisch brillant (so lässt der Erzähler Hammer immer wieder in Blankverse ausbrechen – was man aber nur beim genauen Lesen merkt), humorvoll, spöttisch, eine geniale Abrechnung mit dem (damaligen) Kulturbetrieb.

Eine Enttäuschung war »Welche Tiere und warum das Himmelreich erlangen können.« – spöttisch angedienert als »Neue theologische Studien«.

Das langweilte mich nur, wusste ich doch schon genug von den mittelalterlichen dumm-blasierten katholischen Mönchen und »Wissenschaftlern«, die sich z. B. in ihrer sexuellen Verklemmtheit ernsthaft Gedanken darüber gemacht hatten, an welcher Stelle denn ein Kind zu taufen sei, das aus einer Verbindung zwischen Frau und Pferd entstünde, wenn es denn einen Pferdekopf hätte.

Dann verlor ich Henscheid aus den Augen.

Jetzt ist er für mich wieder da! Immer noch in seinem höchst eigenwilligen Stil, den komplexen Satzgefügen mit ausgefallenen Wörtern, seiner Belesenheit, seinem Wissen, seinem Humor: Es war größtenteils ein Vergnügen, seinen Denkwürdigkeiten zu folgen, dem Verhältnis zu Robert Gernhardt und der gesamten Neuen Frankfurter Schule, den Jugenderlebnissen (als er mit einem Freund Besprechungen von nie stattgefundenen Konzerten in die Zeitung brachte), seinem Verhältnis zu deutschen Schriftstellern und Kritikern und – ja, doch: seinen Lieblingsfeinden.

Die nehmen aber etwas zu viel Raum ein, wiederholen sich auch. Man muss nicht mehrfach in den »Denkwürdigkeiten« lesen, warum Henscheid Reich-Ranicki Prügel angedroht hatte, oder vom Streit mit den Böll-Erben, die nicht damit einverstanden waren, dass Henscheid Böll durchaus zutreffend als »talentfreien Autor« bezeichnet hatte.

Das andere, was mich störte, ist Henscheids Opern-Hörigkeit. Er schwelgt in den ollen Kamellen, dass es keine Art hat. Gewiss ist er Fachmann, gewiss kennt er sich aus, darum geht es nicht.

Das ist eher mein Problem: Wenn man klassenweise als 14-Jährige von einem zwölftönenden Musiklehrer in die »Meistersinger von Nürnberg« geschleift wird, ohne auch nur ansatzweise Einführung, ohne jede Nachbesprechung, wenn man dann in dem orchestralen Lärm sitzt, sich die Ohren zuhält (Krach-Stöpsel gab es damals noch nicht), die Sprache nicht versteht, in der da gesungen wird, weil Vokale ausgiebigst gedehnt und Konsonanten nur angedeutet werden und die Arienschmetterer immer schön um den klaren Ton rumeiern … dann ist man beschädigt und gezeichnet!

Gibt es denn für Henscheid nix Zeitgenössisches, keinen Kurt Weill, keinen Philip Glass, keinen Wolfgang Riehm? Seine Ausflüge in die antike Opern- und Klassikwelt habe ich schließlich nur kursiv gestreift bzw. überblättert.

Wie auch immer: Henscheid bleibt brillant, böse, selbstironisch, satirisch – überaus lesenswert!

»Jeden Tag schreibt irgendein Schwachkopf die Biografie irgendeines Schwachkopfs. Das ist jetzt Mode« (Agatha Christie, Der ballspielende Hund). Besser schon, es unverdrossen ohne Säumen selber zu machen. Auch wenn das nun gleichfalls keine Mode werden soll. Wenigstens nicht innerhalb der Riege der minderen Köpfe.
Liber scriptus proferetur – und treu darin ist eingetragen jede Schändlichkeit und jedwede Schuld aus Erdentagen? Nein, das nicht. Nur bei den, im Gegenteil, Verdiensten, da habe ich hoffentlich nichts vergessen. (S.412)

Es gibt für Henscheid viele erledigte Fälle : Er selbst gehört (für mich) nicht dazu!

Malte Bremer

PS: Auf der Leipziger Buchmesse 2013 führte Denis Scheck ein Gespräch mit Eckhard Henscheid anlässlich der »Denkwürdigkeiten«. Letzterer blickt währenddessen dreimal auf die Uhr, ob denn die Zeit nicht endlich vorbei sei …
Das lässt sich hier betrachten.

Eckhard Henscheid: Denkwürdigkeiten: Aus meinem Leben: Aus meinem Leben. 1941-2011. Gebundene Ausgabe. 2013. Schöffling & Co. ISBN/EAN: 9783895613876
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1 Kommentar

  1. Weill, Glass = “zeitgenössisch”? Einer der vor 90 Jahren mal (verdienten) Erfolg hatte …und einer, desses kurzfristige Mode-Musik dank Virgin Records auch schon 40 bis 50 Jahre zurück liegt.

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