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»Blutspuren« – Graphic Novel aus Tel Aviv von Rutu Modan

Rutu Modan: BlutspurenTel Aviv: Der kaltschnäuzige Taxifahrer Kobi bekommt einen seltsamen Anruf von Numi, einer giraffengroßen Außenseiterin aus gutem Hause. Sie will ihn unbedingt treffen, da sie glaubt, Kobis Vater sei bei einem Selbstmordattentat in der Nähe von Tel Aviv umgekommen. Dass der Sohn den Vater nicht vermisste, wundert zunächst nur den Leser: Kobi brach den Kontakt mit seinem kauzigen Vater vor Jahren ab. Entsprechend widerwillig macht er sich mit der ihm bis dato unbekannten Numi auf die Suche nach dem Herrn Papa. Doch auch Numi hat ihre eigenen Gründe, sich mit dem nicht mehr ganz jungen Taxifahrer auf die Reise zu begeben.

Nicht nur unter dem direkten Eindruck einer Israel-Reise ist man fasziniert und gefesselt von diesem Buch: Selbstverständlich gereichte Zahnstocher nach dem Restaurantbesuch, Kaskaden von Motorrollern auf Straßen, Gehwegen, Autobahnen, die Unmöglichkeit legal zu parken, Telefonate auf mindestens zwei Handys pro Person, philippinische Putzfrauen und die allgegenwärtige Bauhaus-Architektur Details des ganz normalen Tel Aviver Alltags finden ihren Weg in die geradlinigen Zeichnungen, angenehm beiläufig. Formal erinnert Modans Stil an die französischen Comics der fünfziger Jahre, vergleichbar mit Hergés »Tim und Struppi«.

Mit der Frage nach dem Tod des Vaters bildet der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis zwar den Ausgangspunkt der Graphic Novel, wird aber nicht vertieft. Bei Rutu Modan überwiegt die menschliche Dimension die politische. Dass die politische Situation die persönlichen Schicksale der Figuren (und der realen Bewohner des Landes) jedoch mehr als prägt, schimmert nicht nur im auslösenden Handlungsmoment, also dem Selbstmordattentat, durch, sondern auch in Nebenfiguren wie der Cafébesitzerin Sigalit, die ihren Mann bei einem Anschlag verlor, oder Kobis Tante Ruthi, deren Sohn im Libanon ums Leben kam.

Der politische Konflikt bildet die Schablone, auf der Rutu Modan eine Geschichte über Liebe, Anerkennung und die Suche nach Identität erzählt. So universell bzw. westlich dieses Sujet ist, stellt diese Handlungskulisse eine israelische Sicht dar, die nicht diffamiert, nicht moralisiert und nicht vereinfacht.

Die Autorin zeichnet in »Blutspuren« vorwiegend Ashkenasim, also Juden mit europäischen Gesichtszügen. Palästinenser werden im Buch nie erwähnt, wie Joe Sacco in einem Interview feststellt, das der Verlag in Auszügen wiedergibt (ähnlich selten sieht man übrigens Juden aus arabischen Ländern, was der Realität des Landes freilich nicht entspricht, wie man anmerken muss).

Sacco schlussfolgert: »Ganz als ob die Angriffe so sehr zu einem Teil des Lebens geworden sind, dass ihr Kontext nicht länger von Interesse ist.«

Rutu Modan: »Du hast Recht, Israelis bevorzugen es, nicht an den Kontext des Terrors zu denken. (…) Wir müssten sehen, dass wir Verantwortung tragen und dann würden wir merken, dass wir – Gott bewahre – etwas dagegen tun müssten! Nein wir trinken viel lieber mit Freunden Kaffee oder zeichnen Comics. (…) Den Kontext zu vergessen, ist sehr menschlich.«

Wer sich für Israel interessiert oder es schon einmal bereist hat, dem ist dieses Graphic Novel wärmstens zu empfehlen: »Blutspuren« berührt, ohne je zu romantisieren und garantiert so einen guten Einstieg in eine komplizierte Gesellschaft. Für die tagesaktuelle Politik sorgen besser Haaretz, Jerusalem Post oder die Randmeldungen in den deutschen Medien wie immer mit der üblichen Vorsicht zu genießen

Rutu Modans Graphic Novel erschien im November 2006 erstmalig in Israel, 2008 dann auf deutsch im Züricher Comic-Verlag Edition Moderne.

Anika Stracke

Rutu Modan; Barbara Linner (Übersetzung): Blutspuren (Graphic Novel Paperback). Taschenbuch. 2021. Carlsen Comics. ISBN/EAN: 9783551780201. 13,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Rutu Modan: Blutspuren. Taschenbuch. 2010. Edition Moderne. ISBN/EAN: 9783037310700. 8,99 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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