»Mich interessieren Veränderungen - besonders unfreiwillige«

Ein Interview mit dem Bestsellerautor Martin Suter über seine Bücher, seine Protagonisten und sein Leben.

Martin Suters literarisches Schaffen ist vielfältig. Neben seinen Tätigkeiten als Journalist, Filmautor und Theaterautor ist er auch als Fernsehautor, Songtexter und Kolumnist tätig.
     Doch mit seinen in die tiefen Abgründe der menschlichen Seele blickenden Büchern hinterlässt er immer wieder eine Faszination und ein leichtes Erschaudern bei seiner Leserschaft, die sich von seiner Literatur kaum losreißen kann. Dies spiegelt sich auch in den Bestsellerlisten, von denen seine Bücher kaum mehr wegzudenken sind. Mit Martin Suter sprach unsere Redakteurin Ardita Shilova.

Buchcovers von Suter Büchern
Buchcovers von Suter Büchern
Literatur-Café: Herr Suter, Ihre Romane kreisen um das Thema Gedächtnisstörungen. In »Small World« ist es der an Alzheimer erkrankte Protagonist Konrad Lang, in »Die dunkle Seite des Mondes« sind es die hallizogenen Trips des Wirtschaftsanwalts Urs Blank und in »Ein perfekter Freund« wacht der Journalist Fabio Rossi mit einer posttraumatischen Amnesie auf. Was reizt Sie an diesen Themen?

Suter: Stimmt, in »Small World« und »Ein perfekter Freund« haben die Protagonisten Identitätskrisen, weil sie vergessen. In »Die dunkle Seite des Mondes« verhält es sich ein wenig anders. Hier gerät der Held in eine Identitätskrise, weil er eine auf einem Pilztrip gewonnene vermeintliche Einsicht nicht mehr aus dem Gedächtnis löschen kann.
     Mich reizt an diesem Thema die gute alte Identitätskrise. Und weil unsere Identität aus unserer Erinnerung besteht, kann man eine solche am besten dadurch auslösen, indem man  Erinnerungen auslöscht oder sonst wie manipuliert. Mich interessiert die Veränderung der Protagonisten, besonders die unfreiwillige.

Literatur-Café: Die detailgenaue Beschreibung der neurologischen Krankheitsbilder lassen auf eine intensive Recherche bzw. auf ein großes Vorwissen schließen.

Suter: Im Fall von »Small World« war ich durch die Krankheit meines Vaters vorbelastet und habe, vier Jahre nach seinem Tod, systematisch über Alzheimer recherchiert. Bei den andern Romanen habe ich gezielt das recherchiert, was ich für meine Geschichte wissen musste.

Literatur-Café: Welchen Ihrer Romanprotagonisten finden Sie persönlich am faszinierendsten?

Suter: Konrad Lang aus »Small World« steht mir persönlich am nächsten. Aber ich mag alle meine Figuren. Auch die Nebenfiguren. Auch die unsympathischen.

Literatur-Café: Wie würden Sie sich in der Situation von Konrad Lang, Urs Blank oder Fabio Rossi verhalten?

Suter: Ein Roman ist immer auch die Antwort des Autors auf die Frage, wie er sich als sein Protagonist verhalten würde. Ich kann also nur auf »Small World«, »Die dunkle Seite des Mondes« und »Ein perfekter Freund« verweisen.

Literatur-Café: Ihr letzter Roman »Ein perfekter Freund« handelt unter anderem auch vom BSE-Erreger. Haben Sie diese Thematik mit einer bestimmten Intention aufgegriffen?

Suter: Es gab nur eine Absicht: Ich brauchte einen wirklich großen, vertuschungswürdigen Skandal. Da stößt man schnell einmal auf Lebensmittel. Und danach schnell auf BSE.

Literatur-Café: Und wie kamen sie auf die Idee mit dem Pilztrip?

Suter: Ich brauchte eine Figur, die im Wald lebt, obwohl sie dort gar nicht hinpasst. Und ich brauchte einen Grund, dass sie, entgegen ihre Natur und alle Vernunft dorthin geht. So kam ich auf die halluzinogenen Pilze.

Literatur-Café: Sind Ihre Bücher reine Fiktion oder enthalten sie auch Spuren von Charakteren, die sie selbst kennen oder irgendwann erlebt haben?

Suter: Sie sind reine Fiktion, aber es ist auch bei mir wie immer mit der Fiktion: sie zehrt  vom Erlebten und Erfahrenen. Ich würde zwar nie einen Charakter eins zu eins aus dem richtigen Leben übernehmen, aber sie sind bestimmt alle eine Mischung aus Leuten, denen ich in meinem Leben begegnet bin.

Literatur-Café: Haben Sie persönlich irgendwelche Reaktionen bezüglich Ihres letzten Buches von der Leserschaft erhalten?

Suter: Diese waren überwältigend. Sowohl von den Medien als auch von den Menschen. Abgesehen davon, dass das Buch in der Schweiz und in Deutschland monatelang auf den Bestsellerlisten zu finden war, erhielt ich zahlreiche Lobesbriefe und gute Kritiken, die mich selbstverständlich auch ehren.

Literatur-Café: In den verschiedensten Kritiken wird Ihre in den Büchern verwendete Sprache mit der von Patrick Süskind, Jurek Becker und Patricia Highsmith verglichen. Ehrt Sie auch dieser Vergleich?

Suter: Natürlich ehrt er mich. Zumal das alles Leute sind, denen die Sprache nicht Selbstzweck ist, sondern dazu dient, eine Geschichte zu erzählen und eine Stimmung zu beschwören.

Literatur-Café: In der Vergangenheit haben Sie auch als Werbetexter gearbeitet und jahrelang das Amt des Präsidenten des Art Directors Club in der Schweiz bekleidet. Gab es Gründe, wieso Sie dieses Repertoire verlassen haben?

Suter:  Ich bin von Haus aus Schreiber. Das Schreiben ist meine Leidenschaft. Von diesem Beruf lebe ich seit über dreißig Jahren. Als Journalist, Filmautor, Theaterautor, Fernsehautor, Songtexter, Kolumnist und eben auch als Werbetexter. Als ich merkte, dass ich das Werbetexten nicht mehr zum Überleben brauchte, habe ich es ganz weggelassen.

Literatur-Café: Wie würden Sie den heutigen Martin Suter charakterisieren?

Suter: Als einen privat und beruflich glücklichen Menschen, der sich seine Träume realisieren konnte.

Literatur-Café: Zusammen mit Ihrer Frau leben Sie in Spanien und Guatemala. Was waren die Beweggründe für den Wegzug aus der Schweiz?

Suter: Vor allen Dingen waren es die Lebensqualitäten. Es gibt viele Vorteile, in diesen Gebieten zu leben.

Literatur-Café: Und was außer den angenehmeren Temperaturen bieten Spanien und Guatemala, was die Schweiz nicht anbieten kann?

Suter: In Spanien sind es eigene Feigen, Trauben, Mandeln, Oliven, Orangen und Zitronen. In Guatemala eigener Kaffee, Kardamom und Ingwer. Und an beiden Orten ist es ein etwas anderer Umgang mit der Zeit.

Literatur-Café: Welches ist ihr Lieblingsbuch?

Suter: Schwer zu sagen. Vielleicht E. T. A. Hoffmann »Die Elixiere des Teufels«. Man kann es nicht so genau sagen, da die Auswahl an guter Literatur doch recht groß ist.

Literatur-Café: Sicherlich hat  jeder Mensch in seinem Leben noch einige unerfüllte Wünsche. Welche möchten Sie sich noch gerne erfüllen?

Suter: In meinem Alter beginnt man sich langsam zu wünschen, dass es noch lange so bleibt wie es ist.

Literatur-Café: In welchen Bereichen sind Sie momentan noch schreibend tätig?

Suter: Im Moment denke ich über meinen nächsten Roman nach und schreibe jede Woche die Kolumne »Business Class« in der »Weltwoche«. Zuletzt erschien im September bei Diogenes ein Band mit 75 Folgen »Business Class«.

Literatur-Café: Herr Suter, wir danken Ihnen für das Gespräch.

12.03.2003

Martin Suter: Business Class: Neue Geschichten aus der Welt des Managements. Gebundene Ausgabe. 2002. Diogenes. ISBN/EAN: 9783257063295
Martin Suter: Unter Freunden: und andere Geschichten aus der Business Class. Gebundene Ausgabe. 2007. Diogenes. ISBN/EAN: 9783257065688. 18,90 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Martin Suter: Das Bonus-Geheimnis: Und andere Geschichten aus der Business Class. Gebundene Ausgabe. 2009. Diogenes. ISBN/EAN: 9783257067125
Martin Suter: Huber spannt aus: Und andere Geschichten aus der Business Class. Gebundene Ausgabe. 2005. Diogenes. ISBN/EAN: 9783257064681

 

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