»Eine neue Art des Komponierens«

Interview mit Jan Dintenbusch über experimentelle Musik und Literatur

Der Musiker Jan Dintenbusch (34) erstellt experimentelle Musik, bei denen der Zufall eine große Rolle spielt. Neben speziellen Kompositionen für Orte und Performances arbeitet er auch immer wieder für literarische Projekte. Zuletzt komponierte er die Musik für das Multimedia-Event »Horch. Es ist Nacht.«, welches am 24. September 1998 im Stuttgarter Planetarium uraufgeführt wurde. Hörproben und Hinweise zur Bestellung der CD finden Sie am Ende dieser Seite.
     Mit Jan Dintenbusch sprach Gero von Büttner.


Jan Dintenbusch/Fotos (c) by Bernd GersdorferLiteratur-Café: Herr Dintenbusch, Sie haben einmal gesagt, Musik zu machen, das sei für Sie wie malen. Wie muss ich mir das vorstellen?

Dintenbusch: Ich gehöre zu den bedauernswerten Menschen, die während ihrer Kindheit kein Instrument erlernt haben. Als Kind fand ich es natürlich toll, dass ich diesem Zwang nicht ausgesetzt war, heute finde ich es schade - zumindest was die Musik betrifft.
     Dennoch hat mich Musik immer wieder fasziniert, vor allen Dingen, wie sie Stimmungen erzeugt und verstärkt.
     Als dann für den guten alten C64 die ersten Sequenzerprogramme auf den Markt kamen, war ich davon begeistert. Endlich konnte ich Musik aufzeichnen und nachträglich verändern. Das war sensationell! Allerdings fummelte man da an reinen Zahlenwerten herum: wann welcher Ton mit welcher Intensität einsetzt. Weit von den grafischen Möglichkeiten heutiger Programme entfernt. Immerhin hatte der C64 ja nur 32 Kbyte an Speicher. Wenn Musik in Zahlen fassbar ist, was ja kein Widerspruch ist, da Musik sehr viel mit Mathematik zu tun hat, stellt sich natürlich automatisch die Frage, ob man Musik auch berechnen kann. Als ich später dann auf einen Atari umgestiegen war, experimentierte ich mit Programmen, die Musik anhand von Zufallswerten generierten.

Literatur-Café: Das stelle ich mir jetzt etwas misstönend vor.

Dintenbusch: Teilweise war es das auch. Das waren experimentelle Programme. Erst seit ein paar Jahren gibt es hier ernst zu nehmende Software. Diese Software kann man ohne Übertreibung als eigenes Instrument bezeichnen, weil sie echte Kreativität erlaubt und eine neue Art des Komponierens darstellt.

Literatur-Café: Heutzutage mixt sich ja jeder seinen eigenen Techno-Hit.

Dintenbusch: Aber diese Programme sind ja dumm, weil man nur fest definierte Soundschnipsel zusammenbasteln kann. Da haben andere die Vorarbeit geleistet. Das hat nichts mit zufallsgesteuerter Ambient-Musik zu tun, wie ich und andere experimentelle Musiker sie erstellen.

Literatur-Café: Eine Ihrer CDs heißt »Music for Readers«. Was hat es damit auf sich?

Dintenbusch: Naja, der Titel lehnt sich ganz klar an Enos »Music for Airports« an. Auch Eno experimentiert ja bis heute mit dieser Art von Musik und hat das bereits in den 70er-Jahren getan. Damals noch mit Endlosschleifen und Tonbändern.
     Es sind ganz einfach Stücke, die für bestimmte Anlässe erstellt sind – in diesem Fall sind sie als Hintergrund beim Lesen gedacht. Ich kreiere ja auch Musik für Räume oder Kunstwerke. Dabei stellt sich die Musik aber nicht in den Vordergrund, sondern sie ist ein Bestandteil der Sache. Meine Idealvorstellung ist die, dass man die Musik gar nicht wahrnimmt, es aber sofort negativ auffallen würde, wenn sie plötzlich fehlt.

Literatur-Café: Auch Ihr aktuelles Projekt hat mit Literatur zu tun. Sie haben die Musik für »Horch. Es ist Nacht.« erstellt.

Dintenbusch: Das war eine spannende Aufgabe. Wolfgang kam zu mir mit den Texten, die er für geeignet hielt und fragte, ob ich Lust hätte, hierzu die Musik zu komponieren. Das war natürlich eine Herausforderung, der ich mich gerne gestellt habe. Immerhin hat jeder Text seine eigene Stimmung, zu der auch die Musik passen muss - mal verträumt, mal merkwürdig, mal gruselig.

Literatur-Café: Es gibt im Programm rhythmische Stücke, die meisten sind aber eher ruhig. Haben Sie keine Angst, dass die Leute einschlafen, wenn sie im Dämmerlicht in den bequemen Sesseln des Planetariums sitzen.

Dintenbusch: (lacht) Das kann gut passieren. Würde ich Filme machen, wäre ich natürlich tödlich beleidigt, wenn die Leute bei meinen Werken einschlafen. Bei Musik sehe ich das eher als positives Zeichen. Aber ich glaube, dass allein die Texte schon dafür sorgen werden, dass die Leute wach bleiben, und es gibt ja zahlreiche Effekte zu sehen und natürlich den gewaltigen Sternenhimmel des Planetariums.

Literatur-Café: Herr Dintenbusch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

28.08.1998

Hörproben aus »Horch. Es ist Nacht.«
 
Um die Ausschnitte anzuhören, benötigen Sie den kostenlosen RealPlayer, sofern Sie diesen nicht schon installiert haben.

1. Ausschnitt aus dem Eröffnungstitel
2. Ausschnitt aus
»Tanz«
3. Ausschnitt aus
»Ruhe vor dem Sturm«

Weitere Informationen und Bilder von der Veranstaltung sowie die Möglichkeit, die Musik auf CD zu bestellen, finden Sie hier.

© aller Titel 1998 by Jan Dintenbusch.


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