21. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt

Ein Augen- und Ohrenzeugenbericht von Ingeborg Jaiser

Alljährlich zur besten Reisezeit lädt Klagenfurt zum Preisfischen an den Wört(h)ersee. Während die Ausflügler geradewegs zum Strandbad pilgern, trifft sich die Kulturschickeria - auf Plateausohlen schwankend und großzügig Küsschen austeilend - im unterkühlten Studio des ORF. Dass zum üppigen Büffet am Eröffnungsabend mehr Genusssüchtige strömen als zum Lesungsbeginn am nächsten Tag, scheint allerdings nur die Neulinge zu erschüttern.

Nach 20 Jahren Literaturzirkus ist die Zeit reif für neue Reglements. So sind der Jury erstmals die Texte bereits vor der Lesung bekannt. Die Anzahl der Juroren und der Vortragenden wurde reduziert - lediglich die Preissumme generös erhöht. Und der frühere Bertelsmann-Preis erfährt eine lobenswerte Umwandlung in einen mehrtägigen, dem eigentlichen Wettbewerb vorangestellten Literaturkurs für zehn ausgewählte Nachwuchsautoren, von Verena Auffermann liebevoll »Häschenschule«, von Eva Demski gar hochtrabend »Dichterfabrik« genannt.

Obwohl jedes Jurymitglied bald einen festen Part einnimmt - vom sanftmütig-verschmitzt-gelehrten Professor Camartin über den hemdsärmeligen Querschläger Hettche bis zur still-zurückhaltenden Frischmuth (als einzige Jurorin keine studierte Literaturwissenschaftlerin) - bleiben die Auseinandersetzungen erstaunlich zahm und reibungsarm. Um so verwunderlicher, als dass die Auslosung der Reihenfolge oft sehr gegensätzliche Autoren, Motive und Genres hintereinander stellt.

So folgt am Donnerstagnachmittag die scheue, gerade mal 21-jährige Bettina Galvagni mit einer mythologiedurchsetzten, zwischen Exzess und Reinheit changierenden Liebesgeschichte dem 1948 geborenen Wolfgang Schlüter, einem souveränen, mehrfach ausgezeichneten Schriftsteller, Übersetzer und Essayisten, der mit einer höchst artifiziellen, mit manieristischen Versatzstücken überladenen Story brilliert und die Jury zu skurrilen Lobeshymnen anregt (»Fortgeschrittenes Spitzenklöpplertum« - Iris Radisch; »Kuriositätenkabinett wie bei Greenaway« - Silvia Bovenschen).

Doch auch in den Ablehnungen ist man sich einig: so missfällt Peter Schwaigers einfach gestrickte Schwejkiade aus dem letzten Krieg genauso wie Thorsten Tornows postapokalyptisches Endzeitszenarium, dem man mit Mad-Max-Vergleichen wohl unrecht tut, handelt es sich dabei doch um fesselnde, unterhaltsame, handwerklich gut gemachte Prosa, die vage an Paul Auster erinnert.

Die Affinität zu verwandten Künsten zeigen etliche Autoren auf, die sich auch der Musik verschrieben haben. So vergleicht der in Bayern lebende Musiker und Texter Thomas Meinecke die Tätigkeit eines Schriftstellers mit dem eines DJs: auf den richtigen Mix kommt es an. Sein Text »Tomboy« ist eine gelungene, witzig-fintenreiche Mischung verschiedener Sprachebenen und Themen, vom Poststrukturalismus bis zum Postfeminismus. Der 1965 geborene Tim Krohn, früherer Saxophonist und Klarinettist, entpuppt sich wiederum als lustvoller Kopist verschiedener Stile, wenngleich die Jury seinem vorgetragenen Text etwas ratlos gegenüber steht.

The winner is? Nach einer knappen Stichwahl geht der Bachmann-Preis an Norbert Niemann, dessen Romanfragment »Wie man's nimmt« mit seismographischer Empfindlichkeit das Umschlagen von Hass in Selbsthass bloßstellt. Den Preis des Landes Kärnten erhält Steffen Kopetzky, der mit seinem essayistischen Text einen akrobatischen Jonglage-Akt zwischen Parodie und Wahnsinn vollführt. Bettina Galvagni wird schließlich der von über 20 Verlagen gestiftete Ernst-Willner-Preis zugesprochen. Das 3-SAT-Stipendium geht an die zweitjüngste Teilnehmerin, die 23-jährige Schweizerin Zoe Jenny, für ihre spröde zweigeteilte Familiengeschichte »Blütenstaubzimmer«.

Alles in allem kann jeglichen Unkenrufen zum Trotz wieder eine große Lust am Erzählen konstatiert werden, vom schlichten, direkten Bericht eines Icherzählers bis zur vielstimmigen, hypermodernen Prosa. Alle Beiträge wirken seriös und ehrlich, weitab von exhibitionistischen Showeinlagen à la Rainald Goetz. Beschämend nur, dass die Jury so elitär formale Fehler ignoriert - gute Literatur lebt nicht nur vom Inhalt allein!

Ingeborg Jaiser


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