StartseiteFrankfurter Buchmesse 2013Barbara Fellgiebels Buchmesseimpressionen 2013 (1)

Barbara Fellgiebels Buchmesseimpressionen 2013 (1)

LOL - Verlagswerbung auf dem Messegelände
Verlagswerbung auf dem Messegelände

Barbara Fellgiebel war auch in diesem Jahr wieder auf der Frankfurter Buchmesse unterwegs und traf dort alle und jeden. Los geht es mit dem ersten Teil:

Es macht Spaß, den Buchmesse-Rückblick 2012 zu lesen, ehe man sich ins Gewimmel von 2013 begibt! Das gönne ich mir auf der Anreise und erreiche unmittelbar dieses glucksende, bubbelnde Vorfreudegefühl: Wie schön, dass ich wieder dabei sein kann! Mal sehen, was und wer mich dieses Jahr berührt, fasziniert, langweilt, entsetzt. Come what may! Sich mit offenen Sinnen auf das Abenteuer Buchmesse einlassen, tief durchatmen und rein in die bereicherndste Woche des Jahres!

Montag, 7. Oktober 2013

Wie immer, d.h. zum 9. Mal, Verleihung des Deutschen Buchpreises dpb im altehrwürdigen Kaisersaal des Frankfurter Römer. Sechs Autor/innen (diesmal erstmalig paritätisch 3 weiblich, 3 männlich – Kalkül? Zufall?) stehen auf der Shortlist von 250 eingereichten, in den vergangenen 12 Monaten erschienenen deutschsprachigen Romanen. Der anfangs belächelte Preis gewinnt zunehmend an Bedeutung, und das Preisgeld (25.000 Euro  für den Sieger, 2.500 Euro für die fünf anderen Nominierten der Shortlist) hat sich schon als literarischer Lebensretter erwiesen – nicht nur bei Arno Geiger. Vielleicht ist das der Grund für ungebührliches Benehmen von Autoren, die zwar die Nominierung, aber eben nicht den Preis erhielten? Doch zunächst die Nominierten, deren Bücher stilistisch alle lesenswert erscheinen, inhaltlich jedoch nicht jedermann/fraus Sache sind:

Mirko Bonné: Nie mehr Nacht

Reinhard Jirgl: Nichts von euch auf Erden

Clemens Meyer: Im Stein

Terézia Mora: Das Ungeheuer

Marion Poschmann: Die Sonnenposition

Monika Zeiner: Die Ordnung der Sterne über Como

Kulturdezernent Semmelroth begrüßt, zwar zunehmend kürzer und prägnanter, aber noch weit ab von ach so vermisster früherer OB Petra Roth. Gottfried Honnefelder hält eine sturztrockene Ansprache, warum nicht so locker vom Hocker wie am nächsten Tag bei der Pressekonferenz? Gert Scobel (dieses Jahr kommentiere ich NICHT seinen Kopfbewuchs) ist deutlich gelassener als letztes Jahr und moderiert das Ganze, als sei es seine Wissenschaftssendung im Fernsehen – bietet sich zum Teil auch an bei der Thematik einiger Bücher.  Ernst, seriös, Grabesstimmung. Den ersten (und fast einzigen Lacher) erzielt Reinhard Jirgl, als er in seinem Videoclip den Kommentar zu seinem Roman mit folgenden Worten beginnt: „Wenn ich mein Buch richtig verstanden habe …“

And the winner is …

Terézia Mora, die erst im Alter von 12 Jahren aus Ungarn nach Deutschland kam, bereits für eine ihrer ersten Erzählungen den Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt, deren großartige Übersetzungen uns die Lektüre von Peter Esterhazy ermöglichen und ihr 2011 bereits den NRW-Übersetzerpreis für ihre sprachschöpferische Fantasie einbrachten.

Obwohl die meisten auf Marion Poschmann als Siegerin getippt hatten, ist man allgemein mit der Juryentscheidung zufrieden: Wie schön, wieder eine Frau, wie schön, diesmal wirklich ein Roman und nicht – wie im vergangenen Jahr – ein verstecktes Sachbuch.

Nur einer kann seiner wutentbrannten Enttäuschung nicht Einhalt gebieten: Clemens Meyer stürzt laut schimpfend die Treppe hinunter schnurstracks zur Garderobe und ward nicht mehr gesehen … Schade eigentlich. Ihm entgeht auf diese Weise das großartige Frankfurter Büffet mit u.a. delikater Grie Sooß  (= Grüne Sauce, aus 7 Kräutern bestehende Frankfurter Spezialität) sowie anregende Gespräche und Begegnungen … Schaumermal was daraus wird.

Dienstag, 8. Oktober 2013

Um 11.00 Pressekonferenz im Congresscenter.  Kann man die nicht endlich in einem größeren Saal stattfinden lassen, da sie jedes Jahr aus allen Nähten platzt? Beginnt pünktlich mit herrlich entspannter FREIER Rede von Gottfried Honnefelder, der sich altersweise fragt, was er der versammelten Presse nach nunmehr 40 erlebten Buchmessen noch sagen soll, alldieweil sich für ihn eigentlich nichts Wesentliches verändert habe. So hat er sich drei Maxime ausgedacht:

  1. Selbstbewusstsein
  2. Tante Emma
  3. Neue Kultur des Wissens

Das Selbstbewusstsein bezieht sich auf den stationären Buchhandel, der mit einem hauchdünnen, aber doch Zuwachs von 0,9% erstmalig seit langem einen erfreulichen Aufschwung erlebt.

Da sage ich: Dank an alle, die bewusst beim Buchhändler ihrer Wahl kaufen, statt bei Amazon zu bestellen! Ihr macht den Unterschied, macht weiter so!

Tante Emma ist big data von früher. Sie wusste immer alles über ihre Kunden und nutzte ihr Wissen marktstrategisch aus. Aber im Gegensatz zu big data hatte sie einen ordnenden Geist!

Ach wie neidisch ist Buchmessechef Jürgen Boos auf diese grandiose Formulierung – was er auch unumwunden zugibt!

Die neue Kultur des Wissens ist der Titel von Honnefelders Begrüßungsansprache, die er am Abend bei der offiziellen Eröffnung halten, die lang und breit die Wertschätzung und den Schutz des Wissens zum Inhalt haben wird und eigentlich das unverzichtbare Fortbestehen der Preisbindung meint. Für Kritiker meines Rückblicks, die mir an dieser Stelle im vergangenen Jahr Hohl- und Seichtheit attestierten, hier nachzulesen.

Auch Jürgen Boos spricht fast ganz frei, nennt seine 30 erlebten Buchmessen, verweist aufs Klassenzimmer der Zukunft (in Halle 4.2) und macht auf neue Machtstrukturen aufmerksam:

Amazon, Google, Apple und Konsorten seien Logistikzauberer, jedoch keine Verleger mit Leidenschaft. Powerpoint sei passé (Göttin sei Dank), das seit Jahrzehnten stete Wachstum des Rechtezentrums erwähnt er und befiehlt am Ende:

„Ich fordere Sie auf, die nächsten Tage zu genießen!“

Wie war das mit der Feinheit der Sprache??

Schließlich ist Stephen M. Smith, seines Zeichens CEO beim Wissenschaftsverlag Wiley und früherer Boss von Boos an der Reihe. Warum eigentlich? Wäre nicht ein Brasilianer als Vertreter des Gastlandes angesagter gewesen?

Smith ist heilfroh, keine Powerpoint-Präsentation mitgebracht zu haben, da er sich ungern als Dinosaurier geoutet hätte, verweist auf seine nur 25 erlebten Frankfurter Buchmessen und verfällt dann in gnadenlos langweilige Diskurse über – schon vergessen. Die Zeit habe ich der Lektüre des erstmalig in der Pressemappe gefundenen »STARS & STERNCHEN«-Katalogs gewidmet, eine Auflistung, wer wann wo auftritt, bzw. eine Zusammenstellung, wie ich sie mir die vergangenen 15 Jahre alljährlich mühsam selbst aus dem 3.500 Programmpunkte umfassenden Veranstaltungskalender zusammen gesucht habe!

Nach 15 Jahren bin ich zur Trendsetterin avanciert – oder hat da etwa jemand meine Rückblicke gelesen und entdeckt, wie unterhaltsam, aufschlussreich, wichtig, lebendig, die Autor-trifft-Publikum-Momente sind?

Nach drei gequälten Fragen darf sich die Presse erheben und in den Bereich des Gastlandes marschieren. Da bin ich aber froh, dass ich die Erläuterungen der Architektin höre, denn meine Enttäuschung ob der eierschalenfarbenen monotonen Pappkonstruktion wäre sonst bodenlos gewesen (ISLAND, WO BIST DU?). So verlasse ich Brasilien mit einsichtsvoller Bewunderung und gebe das Gelernte gern weiter:

Der Auftritt Brasilien ist eine Hommage ans gedruckte Buch, das nun mal aus Papier besteht. Die kunstvoll minimalistisch zusammengesetzte Struktur ehrt den brasilianischen modernismo Oscar Niermeyers, und die verschiedenen Erlebnisbereiche Brasiliens entschädigen für den ersten so farblosen Eindruck. Dass die gewaltigen Papp- und Papierkonstruktionen aus schwer entflammbarem Material sind, in Leipzig entwickelt und patentiert und von der Frankfurter Messe exklusiv eingekauft, erzählt man mir stolz.

Man kann sich aufs Fahrrad schwingen und Texte erstrampeln, genüsslich in eine der ca. 20 Hängematten legen, Kopfhörer auf und brasilianische Songtexte hören, die auf Deutsch am Bildschirm dazu erscheinen. Man kann zwischen Papierblocktürmen flanieren, die man millimeterweise kürzen kann, indem man ihr oberstes Blatt abreißt; auf diesem findet man auf englisch-deutsch-portugiesisch Informationen zum jeweilig auf dem Turm dargestellten Autor.

Und man kann in Büchern schwelgen, sich in eine Sitz-Liegewiesenlandschaft lümmeln und schmökern – in Büchern über Brasilien. Selbst Stefan Zweig hat ein Werk über das Riesenland verfasst!

Nur eine Quelle, aus der Caipirinha sprudelt – die fehlt.

Barbara Fellgiebel

Barbara Fellgiebel ist passionierte Buchmessen- und Literaturfestivalberichterstatterin und lebt in Schweden. Aktuelle Informationen über den von ihr gegründeten »südwestlichsten deutschsprachigen Literatursalon« in Portugal finden Sie unter www.alfacultura.com. Erreichbar ist Barbara Fellgiebel unter alfacult(at)gmail(dot)com

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