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Bachmann und Brockmann II: KandidatInnen im Videocheck (1)

Screenshot aus dem Video von Olga Flor
Screenshot aus dem Video von Olga Flor

Nach der TeilnehmerInnenliste sind nun auch die kurzen filmischen Selbstvorstellungen der Autoren und Autorinnen beim Bachmann­preis-­Wett­bewerb 2014 veröffentlicht. Doris Brockmann hat sie angeschaut und sich ihre Gedanken dazu gemacht. Einmal im Überblick. Dann en détail. Wie wirken die einzelnen Porträts in der Gesamtschau? Gibt es Gemeinsam­keiten? Ist ein Trend erkennbar im „Who is who“ des Jahrgangs 2014?

Doris Brockmann (Foto:privat)Doris Brockmann
ist (bzw. war) passionierte Fernsehstudentin der »Tage der deutschsprachigen Literatur«. Bis 2013 bloggte und twitterte sie über den Bachmannpreis immer im angenehm kühlen Arbeitszimmer, 2014 war sie erstmals live im aufgeheizten Klagenfurt dabei, um sich mal alles vor Ort anzuschauen. 2017 wird sie zum vierten Mal nach Kärnten reisen. Ansonsten widmet sie sich der angewandten Schriftstellerei im Dienste der Alltagsbeobachtung auf
walk-the-lines.de

Das Organisationskomitee für die „38. Tage der deutschsprachigen Literatur (TDDL)“ scheut keine Mühe. Selbst vor Feiertagen macht man hier nicht halt: Pfingstmontag wurden die Videoporträts der eingeladenen Kandidatinnen und Kandidaten online gestellt. Bis zum Beginn der Lesungen am Wörthersee dauert es noch drei Wochen. Also bleibt uns Bachmannpreis-Fans gemütlich viel Zeit, einen ersten persönlichen Eindruck von jenen, die „in den Ring steigen“ werden, zu gewinnen.

Es kommt viel Raum vor

Beim ersten Anschauen der Videoporträts fällt auf: Es kommt viel „Raum“ vor. Im Bild oder als Thema. Zweitens, recht häufig steigt irgendwer aus irgendeinem Auto, vorzugsweise bei Regen. Drittens, Literatur wird gerne als etwas Existentielles beschrieben (vom Schreibimpuls bis zur Thematik). Viertens „Witzischkeit“ hält sich in Grenzen.

Michael Fehr

Michael Fehr kommt aus der Tiefe des Raumes. Der Kandidat lässt sich Zeit. Dann erscheint er im dunklen Gang zwischen klaustrophobisch schräg gestellten Wänden und sagt zweimal: „Artikulation“. Rezitation in Schwarz-Weiss. Der Vortragende spricht nachdenklich staunend ins Mikrophon: „Oder vielleicht die Fähigkeit zur Artikulation oder vielleicht oder vielleicht das Wunder der Fähigkeit zur Artikulation. Und daraus Motivation. Motivierung, Motiv. Und daraus Repetition, Variation. Und daraus eine existentielle Geschichte mit einer gewissen Musikalität.“ Schon ist das künstlerische Programm vorgetragen, der Vorhang zu und die Frage offen, ob wir es hier mit dem einzigen ironiegetönten Videoporträt des Bachmannpreis-Jahrgangs 2014 zu tun haben. (Auf die Ironievermutung würde ich nicht mehr wetten, nachdem ich gerade ein Gedicht des bisher als Lyriker hervorgetreten Schweizer Autors entdeckt habe, das den Titel „2 Ingeborg Bachmann und ich“ trägt und folgendermaßen beginnt: „Ingeborg Bachmann sagt /was du und ich zusammenlegen können /das ist das Leben …“ In: literarischer Monat Nr. 14 vom 02.12.2013).

Olga Flor

Olga Flor eröffnet mit dem Bekenntnis: „Ich mag seltsame Räume. Ich mag Räume, die Durchgangsorte sind, Speicherorte, Räume, die man eigentlich nicht betritt, um sich darin aufzuhalten. Und in denen kann sich etwas entzünden, was sich dann in meiner Literatur wiederfindet.“ Schon geht es ab in das „Depot der zoologischen Sammlung“, wo Frau Flor inmitten ausgestopfter Tiere spitzbübisch lachend erklärt, dieser Raum stelle „die Vorstellung der Welterfassung in Form von Konservierung von toten Körpern“ dar. Tod und Liebe seien die Grundthemen der Existenz und der Literatur. Es störe sie, sagt die gebürtige Wienerin, dass die Gesellschaft den Tod als eine Art „System­fehler“ ausblende, dabei gehöre er zum Leben und sei letztlich die Bedingung, um Leidenschaft und die „Fülle des Lebens“ überhaupt und tief zu erfahren. Flors Autorinnenblick richtet sich darauf, „wenn Menschen zusammen kommen, wie dann unterschwellige Abhängigkeiten, Machtstrukturen sich auswirken und wo sie an die Oberfläche kommen, sich manifestieren oder vielleicht auch nur die Oberfläche ein bisschen zum Kräuseln bringen.“ Schon wird hinübergewechselt zu einem anderen Durchgangs- bzw. Speicherort: Im Zuschauerraum eines Kinos oder Theaters beschreibt Frau Flor heiter, das Schreiben ermögliche ihr, in verschiedene Rollen hineinzuschlüpfen, es sei eine Art Theaterspielen, bei dem man zugleich auch Regie führe und den Text schreibe und sich letztlich immer auch mit den eigenen Abgründen auseinandersetze. Das zuvor eingeblendete Cover von Olga Flors zuletzt veröffentlichtem Roman „Die Königin ist tot“ zeigt ein ausgestopftes Tier, das geradewegs aus dem „Depot der zoologischen Sammlung“ entsprungen sein könnte, ein Reh oder ein Hirsch (ich kann es nicht unterscheiden) in einem Lift – wieder so ein Durchgangsort.

Romana Ganzoni

Romana Ganzoni hat den Dorfladen ihrer Kindheit als Schauplatz gewählt. Mit hochhackigen Schuhen steigt sie aus einem Auto und geht auf regennasser Straße hin zum Coop. Dort kennt jeder jeden und begrüßt man sich herzlich. Jedem, den Frau Ganzoni hier trifft und mit dem sie rätoromanisch spricht, reicht sie ein grünes Büchlein, das an ein Schulheft erinnert und erst an der Kasse als das identifiziert wird, was es ist: das Lehrbuch „Deutsch für Ausländer“. Mit ihm hat Frau Ganzoni ab der sechsten Klasse die deutsche Sprache erlernt. Der Dorfladen ist für die Schweizer Autorin nicht nur Heimatort, sondern auch der Sprachraum, in dem sie sich als Gymnasiastin während des Ferienjobs (ähnlich wie beim Skilift) im Gebrauch des bündnerromanischen, italienischen und deutschen Idioms geübt hat. Auf der Homepage von Romana Ganzoni findet sich als aktueller Eintrag: „Suche im Keller nach dem schönen Koffer. Mein Text wurde zum diesjährigen Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis nach Klagenfurt eingeladen!“ Ich wünsche ihr Glück und werde sie vor Ort fragen, was es mit dem „schönen Koffer“ auf sich hat.

Doris Brockmann

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2 Kommentare

  1. Interessant so eine wissenschaftliche Analyse aus den Kanditenportraits zu machen. Ich tue das eigentlich besonders, mir fällt aber auf, es sind immer eins zwei außergewöhnliche dabei, wo der Bewerber mit den Augen rollt zum Beispiel oder diesmal das, wo die Frau auf der Mauer spazierengeht. Was das mit dem Literaten und seinen Texten zu tun hat, ist dann nicht immer so klar, aber ich verstehe natürlich, daß der Druck aufzufallen, besonders zu sein, auch da sehr hoch ist. Mir gefallen immer die Portraits am besten, woc ich ein bißchen was über den Autor und sein Leben erfahre, aber ich kann ohnehin nachgooglen, den “Volltext” lesen oder die Österreicher sind mir meistens ohnehin schon bekannt, bei den Deutschen und den Schweizern ist das anders, über die erfahre ich dann beim Zuhören und bei der Diskussion, also die Kriche im Dorf und die drei Minuten Vorstellung so lassen wie sie ist, denke ich und bin schon sehr gespannt, wieviel Geld jetzt für den Extrapreis zusammenkommen wird.

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